An einem schön verregneten Freitag im Juli ergab sich für uns die Möglichkeit für ein Treffen mit der Gipsy-Folk-Rock-Punk-Band KULTURSCHOCK aus Seattle, die abends mit Brachial-Gewalt den schwitzevollen Mudd-Club rockten, und ihrem Label-Chef Billy Gould (Faith No More), der für dieses Konzert eigens nach Berlin geflogen kam. Nach einigen Unklarheiten wann denn die Band überhaupt im Mudd-Club aufschlagen sollte, kam es dann 21.30 Uhr doch noch zu einem überaus interessanten und netten Treffen mit diesen Musikern der Extra-Klasse. Und ich muss schon sagen, besser hätte es nicht sein können. Wenn alle Interviews so interessant und freundlich verlaufen, dann mach ich das gern hauptberuflich.
Wir wurden also äußerst freundlich vor dem Mudd-Club von der ganzen Truppe, die gerade erst aus Spanien angekommen war, in Empfang genommen. Am Vorabend hatten sie mit Cheb Balowski und O Jarbanzo Negro in Barcelona zusammen gespielt, die beide auch auf der neuen Kultur Shock Platte mit erscheinen werden.
Die Band wurde 1996 von dem charismatischen bosnischen Sänger Gino Yevdjevich und dem sympathischen Gitarristen Mario Butkovich in Seattle gegründet. Beide hatten während des Krieges in Jugoslawien gelebt. Yevdjevich arbeitete zu der Zeit am Theater während Butkovich mit Ausbruch des Krieges nach Kroatien flüchtete, wo er 5 Jahre in einem Refugee Camp verbrachte. 1995 waren beide dann in Seattle bzw. Portland gelandet wo sie beschlossen die Band Kultur Shock zu gründen. Der Rest der Band stieß nach und nach dazu. Im Jahr 2000 kamen der Gitarrist Val Kiossovski aus Bulgarien, der früher in einer Progressive-Rock-Band gespielt hatte, und der japanische Bassist Masa Kobayashi dazu und 2001 wurde dann auch Amy Denio (Saxophon, Gesang) Mitglied der Band (und die Frau hat Power!). Die derzeitige Besetzung besteht seit Mai letzten Jahres, Drummer Chris Stromquist kam als letztes Mitglied dazu.
Wie schon erwähnt, kommt die Band aus Seattle, die Stadt an der Westküste der Staaten, in der es am meisten regnet, in der am meisten Kaffee konsumiert wird und in der die Kunst und Literaturszene äußerst ausgeprägt ist. Und wir erinnern uns, Anfang der 90‘er ging hier der Grunge-Boom los. (Val Kiossovski arbeitet übrigens im letzten übrig gebliebenen Grunge-Club, dem „Crocodile Cafe“, das zu Teilen einem Mitglied von R.E.M. gehört). Das Seattle Art College soll laut Gino, der dort Theater Kurse unterrichtet, das beste der Westküste sein. Wie dem auch sei, dass die Band aus so vielen verschiedenen Nationalitäten und kreativen Einflüßen besteht, wirkt sich natürlich maßgeblich auf die Musik aus. Gesungen wird in traditionellem Gipsy, Kroatisch/Bosnisch/Bulgarisch und Englisch, auf der neuen Platte kommt sogar noch Italienisch und Japanisch hinzu. Und der Mix aus Sprachen und Stilen (Rock, Punk, zum Teil schon Hardcore, Folk, traditionelle Gipsy-Klänge) geht mit solcher Brachial-Gewalt nach vorn, ohne dabei die Qualität auf der Strecke zu lassen, dass man meint, hier geht es darum, das letzte Mal zu spielen. Was im Grunde genommen auch das Motto der Band ist. Durch die Erfahrungen, die Yevdjevich und Butkovich im Krieg machen mußten, wurden sie so stark geprägt und letzlich erst zu dem gemacht, was sie heute sind, dass sie nun sagen: „spiele jedes Lied, als ob du nur noch 5 Minuten zu leben hättest“. Immerhin hätte damals jeder Tag ihr letzer sein können. Auf gut Deutsch gesagt heißt das auch genauso viel wie : Nie wieder Pop-Musik!
Was Kultur Shock machen, ist Musik die direkt ins Herz geht. Da bleibt gar keine Zeit zum Überlegen mehr, man wird einfach mitgerissen. Was auf der Platte ansatzweise durchkommt, zeigt sich auf den Konzerten mit doppelter und dreifacher Wucht. Die Konzerte strotzen nur so vor Energie, da tropft der Schweiß schon von der Decke (aber das war in Anbetracht der Räumlichkeiten des Mudd-Clubs auch kein Wunder). Für die Mitglieder der Band bedeutet Kultur Shock Herzblut. Und seitdem es die Band gibt, würde keiner mehr zurück gehen und das machen, was er vorher gemacht hat. Kein Pop, kein Prog-Rock, nichts anderes. Wenn Val in den 80‘ern noch Musik machte, die zum Nachdenken anregte, dann ist Kultur Shock jetzt genau das Gegenteil. Hier haben sich die richtigen Musiker zur richtigen Zeit am richtigen Ort getroffen, auch wenn sie dafür um die halbe Welt reisen mußten. „Der Mensch sollte frei sein und von Ort zu Ort ziehen können, ohne Grenzen. Der Begriff Gipsy zeichnet sich ja dadurch aus, aus verschiedene vielfältigen Einflüssen zu bestehen. Und genau das drücken wir auch in unserer Musik aus. Es ist halt nervend und schwierig, wenn ich immer erst ein Visum beantragen muß, wenn ich in Europa auf Tour gehen will, was 500$ kostet, und die anderen brauchen bloß ihren Pass zu zeigen“ (Gino).
Und trotzdem, Musik ist und bleibt die stärkste Sprache der Welt. Und das Ziel, „durch die Musik für eine kurze Zeit mit unterschiedlichen Menschen eine community zu schaffen“ (Amy) haben sie auf jeden Fall schon längst erreicht. Thanx for the show and the nice interview. Diese Band kann es noch weit bringen.
Autor: Anne