Schrottgrenze: "Die Schubladendlosigkeit ist ja beinahe schon charakteristisch für Schrottgrenze."
Man, man, man. Wie die Zeit vergeht. Es muss so 1994/1995 rum, vielleicht auch 1996 gewesen sein, als ich danach suchte, ob Punk mehr bedeutet als die ABSTÜRZENDEN BRIEFTAUBEN oder DIE ÄRZTE. Als ich zahllose, teils unglaublich schlechte, aus heutiger Sicht aber auch viele Klassiker an Platten kaufte & alles aufsog, was auch nur im Entferntesten mit Punk zu tun hatte. Als ich mir den gerade frisch erschienen 4. Teil der „SICHER GIBT ES BESSERE ZEITEN…“ Samplerreihe zulegte & auf die Band namens SCHROTTGRENZE stieß. „Schulordnung“ hieß das darauf befindliche Stück von ihnen und war für mich insofern aktuell, als daß ich selbst noch zur Schule ging. Ein wirklicher Hit. Damals. Ganz sicher war es dann 1996, als sich die Band aus Peine bei Hannover sogar zusammen mit der TERRORGRUPPE nach Frankfurt (Oder) verirrte und mit der lokalen Band BOCKWURSCHTBUDE (*hüstel*) ein Konzert zum Besten gab und letztendlich den besagten Song eher widerwillig spielte.
Mittlerweile ist viel Zeit ins Land gezogen und ich hatte die Jungs aus den Augen verloren. Wohl auch, weil ich sie immer in Bezug mit den alten Sachen sah.
Zwischendurch gab es zwar mal eine Formation namens FINGERS. Was es aber damit auf sich hat, kann man weniger im Folgenden, als vielmehr auf ihrer, sehr informativen Homepage (www.schrotgrenze.de) nachlesen.
Bis mir Timo in diesem und letzten Jahr des Öfteren Mal bei unterschiedlichen Begebenheiten im Wild at Heart über den Weg lief. Überall wurde ihr aktuelles Album „Vaganten & Renegaten“ über den Klee gelobt und selbst die mir sehr zusagenden WOHLSTANDSKINDER ließen keine Gelegenheit aus, das selbige zu tun. Also ließ ich mir von Timo die neue Platte (erschienen auf dem hauseigenen Label ROCKTYPEN in Coproduktion mit MEISTERBETRIEB – Review demnächst) zuschicken und war hellauf begeistert von der „neuen“ SCHROTTGRENZE.
Gründe genug also, ihnen mal ein paar Fragen per Mail zu stellen. Diese wurden superschnell beantwortet und kamen von Timo (voc, git) und Alex (voc, dr) flugs zurück. Hier das Ergebnis. Viel Spaß.
Hallo! Wer ist denn SCHROTTGRENZE im Jahre 2003?
Moinsen! Schrottgrenze 2003 sind: Timo (Gitarre, Gesang), L.H. (Gitarre), Hans (Bass) und Alex (Gesang, Schlagzeug)
Schön, endlich mal die Möglichkeit zu haben, mit Euch ein Interview zu führen. Was ich Euch schon immer mal fragen wollte: Als ich Euch und Eure Single das erste Mal gehört habe, war ich ziemlich sauer. Damals war ich großer Fan der Band RUMBLE MILITIA. Euer „Bitte melde Dich“ hört sich verdammt nach RM´s „You´re sure“ an. Kennt Ihr die? Gibt´s da Verbindungen?
Erwischt! Mit 15 hat man als Gitarrenanfänger eben noch nicht so viele eigene Ideen. Timo hat sich wohl damals etwas inspirieren lassen. „Wieviel Hass wollt ihr noch?“ sollte in keiner D-Punk-Sammlung fehlen, finden wir.
Kurz darauf kam ja dann auch bald Eure Debütplatte „Auf die Bärte…“ heraus, die selbst für mein damals junges Alter, Entschuldigung, ziemlich pubertär klang. Wie steht Ihr heute zu dem Album? Gibt es das noch zu kaufen? Spielt Ihr die Songs noch live? Mittlerweile spielt Ihr ja doch einen etwas anderen Stil.
Wir finden die Scheibe heute maximal noch lustig. Sie ist mittlerweile ausverkauft und wird wahrscheinlich auch nie mehr aufgelegt, was allerdings weniger mit den pubertären Texten als mit der Dillethantisch gespielten Musik an sich zusammenhängt. Das braucht musikalisch einfach keiner mehr und unsere neuen Sachen sind besser. Wir spielen noch manchmal „Hurenstadt“, das gefällt uns noch ganz gut. Wer lieb fragt kriegt von uns eine gebrannt.
Schulordnung. Mit dem Song habe ich Euch kennengelernt. Doch schon 1996, als ich Euch live sah, war es Euch schon sichtlich peinlich, den Song zu spielen. Gibt es immer noch Leute die den Song auf Konzerten vehement fordern?
Nein, das Lied wird nie gewünscht. Das Stück war von unserem ersten Demo-Tape und das erste was auf einem offiziellen Sampler veröffentlicht wurde. Die „Generation“ von Leuten, die solche Sampler noch gekauft haben scheint von unseren Konzerten verschwunden zu sein. Im Fall von „Schulordnung“ ist das sicher nicht so tragisch, obwohl es für uns natürlich ein Stück weit Kult ist. Die Anfänge und so ...
Ihr habt eine ziemlich umfangreiche Homepage (www.schrottgrenze.de) hinsichtlich Eurer Bandbiografie und auch sonst. Da fällt es schwer, Fragen zu stellen, die nicht schon beantwortet sind. Trotzdem, wie ging´s danach weiter?
Im April diesen Jahres haben wir unser Album „Vaganten und Renegaten“ veröffentlicht, im Laufe des Jahres etwa 40 Gigs gespielt und eine EP mit 5 Songs aufgenommen, die am 12.01.2004 rauskommt. Die EP wird „Belladonna“ heißen. Dieses Jahr war total genial, wir haben viele neue Freunde gewonnen und viele alte Gesichter wiedergetroffen.
Wer oder was waren die FINGERS? Erleben auch sie irgendwann mal eine Auferstehung?
Fingers war ein Projekt, was wir in der Zeit unternommen haben, als Schrottgrenze „auf Eis“ lag. Personell war das eine ähnliche Besetzung mit anderem Drummer und anderen Songs. Das war keine schöne Zeit in der es sehr viel Streit innerhalb der Band und mit Vertretern der Plattenindustrie gab, deshalb gibt es da sicher keine Auferstehung.
Wie kam es zu der Veröffentlichung von „Vaganten & Renegaten“?
Wir wollten unbedingt mal wieder ein schönes Album veröffentlichen. Timo lernte 2002 Alex Gockel von der Giessener Firma „Meisterbetrieb“ kennen und schickte ihm später unsere Aufnahmen zu, die Gockel für gut befand. In Kooperation mit unserem bandeigenen Label „Rocktypen“ erschien dann die „Vaganten“- CD. Wir wollten auf keinen Fall wieder bei einer größeren Firma veröffentlichen, bei der wir wieder nur Band X gewesen wären. So hatten wir einerseits ein motiviertes Indie-Label mit Vertrieb und andererseits selbst die Fäden in der Hand. Diese Zusammenarbeit funktionierte hervorragend. Die EP wird ebenfalls in dieser Konstellation herausgebracht.
Mittlerweile wohnt Ihr alle in Hamburg? Wird man dort von der „Hamburger Schule“ beeinflusst? Habt Ihr dort Nachhilfestunden genommen?
Alex war bereits Mitte der 90er großer Fan von Tocotronic, Blumfeld und anderen. Da er die meisten Songs schreibt findet man da sicher den ein oder anderen Einfluss aus der Ecke wieder. Die „Hamburger Schule“ ist ja, sofern sie überhaupt jemals existiert hat, längst zersplittert und spielt heute für uns gar keine Rolle. Neuerer Hamburg-Sound ist nicht so unser Ding, eher viele der alten HH-Punk-Bands aus den 80ern oder insbesondere Gruppen wie Boxhamsters und Hüsker Dü.
Kein Heimweh nach Peine, nach der Provinz?
Wir spielen einmal im Jahr in Peine, das reicht aus um das Heimweh abzustellen. Heimweh nach der Provinz haben wir allerdings reichlich, weshalb uns ein ausreichender Anteil an Tourdaten in provinziellem Ambiente sehr wichtig ist. Die Leute da gehen meistens einfach krasser ab.
Ihr habt, seitdem Ihr in HH wohnt, Kontakte mit bspw. Rod oder Rocko Schamoni geknüpft. Kann man sich die Hamburger Musikszene schon als kleine Familie vorstellen? Wie sieht sonst der Kontakt zu anderen Bands, Musikern, Künstlern aus?
Die Welt ist auch in Hamburg relativ klein, allerdings sind wir als Band da nicht besonders integriert. Der Kontakt zu Rocko kam zustande, da Timo Zivildienst in dem Kindergarten gemacht hat, in den Rockos Tochter ging. Da wir früher große Fans von Fun-Punk waren, war der Gastauftritt von Rocko auf unserm Album natürlich klasse. Ansonsten gibt es viele Bands mit denen wir befreundet sind, gerne touren und auch privat feiern, wie z.B. D-Sailors, Wohlstandskinder, Terrorgruppe oder die Hamburger Spandau.
Ihr habt auf vergangenen Platten versucht, elektronische Instrumente in Eure Musik einfließen zu lassen. Es aber dann doch in Grenzen gehalten, weil Ihr eine Gitarrenband bleiben wolltet. Ist das gut, sich selbst so die Grenzen zu setzen?
Bei der Umsetzung der Songs begreifen wir uns schon als eine Art demokratisches Kollektiv. Die elektronischen Einflüsse gingen da mehr ausschließlich von Alex aus und entsprachen weniger dem Geschmack der restlichen Band. Da Alex von jeher zahllose andere Projekte neben Schrottgrenze gemacht hat, hatte er trotzdem genug Gelegenheit sich auszutoben. Bei Schrottgrenze sollte zumindest immer ein Hauch von Punkrock dominieren. Heutzutage sind wir eher auf einem totalen Puristen-Trip, auf der neuen Platte sind ausschließlich 2 Gitarren, Bass, Schlagzeug und ein minimales Gesangsarrangement zu hören.
Alex singt die meisten Songs hinter seinem Schlagzeug. An sich schon nicht einfach, kann ich mir vorstellen. Klar, ein paar Songs singt auch der Timo & ein bisschen „Show“ wird von den 3 Jungs vorn auch gemacht. Ist es aber nicht auch schwierig, das Publikum zu begeistern, wenn es nicht „vorn“ eine feste Bezugsperson hat?
Obwohl das öfter angesprochen wird, haben wir damit weniger Probleme. Die Leute die uns kennen finden oftmals gerade das an uns Live so interessant. Sicher wirkt das oft befremdlich auf neue Zuschauer, aber da müssen wir und die eben durch. Bei uns gibt’s einen Hauptbezug und das sind hoffentlich die Songs.
Sucht Ihr noch immer nach einem Schlagzeuger, der dieses Problem vielleicht beheben könnte?
Nein. Allein schon nach dem Stress in der Fingers-Zeit haben wir uns entschlossen keine anderen Musiker hinzuzuziehen. Die jetzige Konstellation ist für uns ideal.
Timo, Du hattest beim Major Universal gearbeitet & dort Eure befreundete Band THE WOHLSTANDSKINDER untergebracht. Gab´s keine Möglichkeit, Euch vielleicht selbst dort auch unterzubringen.
Timo: Die Frage stellte sich gar nicht, da es Schrottgrenze zu der Zeit gar nicht gab, außerdem muss man sich für eins entscheiden, diesen Job oder eine eigene Band. Im Nachhinein würde ich bei keiner dieser Firmen unterschreiben, weil du nie weißt wie lange es dein Label noch gibt bzw. wie lange noch die gleichen Leute dort arbeiten. Um Mike Ness aus einem Interview zu zitieren: „Lieber ein großer Fisch im kleinen Teich, als ein kleiner im Großen.“
Apropos WSK. Neben ihnen traut Ihr Euch zum Beispiel auch mal eine Ballade auf ein Album zu bringen, was sicher nicht allen Leuten gefällt. Nimmt man mal an, daß es sich bei der Musik, die ihr spielt nicht wirklich mehr um PUNK handelt. Noch nicht wirklich POP ist. Die WSK haben für sich den PROVINZROCK erfunden. Wie kann man Eure Musik am ehesten beschreiben. Kann es sein, daß Ihr überhaupt in Deutschland einen neuen Stil erfunden habt?
Schön wäre die Vorstellung eines eigenen Stiles schon. Aber so wichtig nehmen wir unsere Musik nicht. Manche nennen es Pop-Punk oder Power-Pop. Wir haben keinen Namen für unsere Musik. Diese Schubladendlosigkeit ist ja beinahe schon charakteristisch für Schrottgrenze. Das hängt unter anderem damit zusammen, das wir uns ganz bewusst von Platte zu Platte verändern wollen und müssen. Provinzrock ist ein toller Begriff, aber natürlich jetzt Markenzeichen der Wohlstandskinder.
Ihr wart jetzt, glaube ich, zum dritten Mal in diesem Jahr in Berlin. Eine heimliche Liebe, hier zu spielen?
In Berlin gibt es ja das „Wild at Heart“, was für uns allein schon Grund genug ist gerne in dieser Stadt zu spielen. Insbesondere in diesem Jahr lief es gut für uns in Berlin, was das Publikum angeht. Das wollen wir als Band natürlich gerne auskosten.
Beim Suchen im WWW habe ich ziemlich wenig Interviews von Euch gefunden. Besteht da nicht so das Interesse, egal von welcher Seite aus. Woran könnte das liegen? Lehnt Ihr Interviews ab? Und wenn ja, aus welchen Gründen.
Wir geben eigentlich gerne Interviews. In den 90ern haben wir viele Interviews an Fanzines, etc. gegeben. Seit Ende 99 haben wir mit Schrottgrenze pausiert, also genau zu dem Zeitpunkt ab dem das I-Net wirklich florierte. Das könnte der Grund sein warum man im Netz bisher recht wenig von uns findet. Andererseits sind wir auch nicht besonders gefragt.
Was kann man in Zukunft von SCHROTTGRENZE erwarten? Was ist geplant?
Wie gesagt im Januar erscheint unsere „Belladonna“-EP, welche auch über unsere Homepage zu beziehen sein wird. Im Frühjahr werden wir noch einige Abschiedskonzerte spielen und uns im Sommer in Wohlgefallen auflösen.
Nicht im Ernst, oder?
Nein ist ein Scherz... wir haben jetzt grob bis nächstes Jahr Sommer geplant.... Was dann ist, wissen wir halt noch nicht...
O.K., dann Vielen Dank für das Interview. Die Letzten Worte gehören Euch…
Kauft euch alle Boxhamsters-LPs und werdet so glücklich wie wir.