Attaque 77

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"Attaque 77 steht für die Bewegung des Punks in den Anfangsjahren"

Im Jahre 2001 bin ich das erste Mal auf die argentinische Band ATTAQUE77 gestoßen. Das Düsseldorfer Label WOLVERINE RECORDS, bekannt für seine PUNK CHARTBUSTERS-Serie, hatte damals einen Querschnitt des musikalischen Schaffens der Band veröffentlicht und mir hatte die Platte auf Anhieb gefallen. Im August dieses Jahres bekam ich von ÜBERSEE RECORDS einen Brief, in dem man mir mitteilte, daß auf besagtem Label noch in diesem Jahr eine Liveplatte erscheinen sollte, die in gebrannter Form dem Brief auch gleich beilag.

Dass sie in Argentinien eine große Nummer sind wusste ich bereits und pünktlich zum Erscheinen der Platte sollten sie auch zu uns auf Tour kommen. Leider verschlug es sie nicht nach Berlin, sondern „nur“ nach Potsdam. Aber an diesem Tag hatte ich eh keine Zeit, mir die Band anzuschauen, dessen Backdrop mich schon allein umgehauen und interessiert hatte. Aber egal. Ein paar Fragen drängten sich mir jedoch trotzdem auf & so fragte ich den Henning ob ich die Band nicht per eMail interviewen könnte. Gesagt, getan. Wenn eine Band aber auf Tour ist, scheint sie wohl nicht große Lust zu haben, eMail-Interviews zu beantworten und so war ich einigermaßen enttäuscht, als ich die Antworten zu meinen Fragen bekam. Da Henning aber ein überaus netter Kerl ist & mein Problem verstand, erklärte er sich bereit, den Jungs noch mal dieselben Fragen, ergänzt mit ein paar eigenen, in einem „Face-to-Face-Interview“ zu stellen. Das erste Interview vom Henning überhaupt, muss man auch mal dazu sagen. Und Siehe da! - Es geht doch. Auf einige Fragen (besonders die politischen) hätte ich mir zwar ein paar ausführlichere Antworten gewünscht aber man kann eben wohl nicht alles haben. Und da meine Fragen in der Mail auch relativ schnell abgehakt wurden, verspürte ich auch keine große Lust noch mal bei einigen Antworten nachzuhaken. Wie dem auch sei. Ein paar interessante Sachen sind trotzdem raus gekommen. Die Live-CD kann ich jedem übrigens nur wärmstens empfehlen. Die Soundqualität ist super & die Platte kann eigentlich auch als eine Art „Best of“ gelten. Dazu auch noch die Atmosphäre… Klasse!
Also: Viel Spaß mit dem Interview.

Wer bist Du denn eigentlich?
Mein Name ist Luciano Seaglione, ich spiele Bass und mache Backgroundvocals für ATTAQUE77.

Euch gibt´s nun schon über 15 Jahre. Was bedeutet Euer Bandname, hat das einen Grund? Und bedeutet er für Euch noch immer dasselbe wie damals?
Also ATTAQUE77 steht für die Bewegung des Punks in den Anfangsjahren in Europa und die Musik damals, die wir wirklich mögen. Das ist das, was wir spielen wollten und das tun wir auch noch heute.

Gab es irgendwelche Wechsel im Line Up? Mit wem habt Ihr schon alles gespielt?
Wir haben 1987 angefangen Musik zu machen. Anfangs waren wir zu fünft. Jetzt sind wir zu viert. Ja, es gab da zwar ein paar Besetzungswechsel, aber seit 11 Jahren spielen wir in derselben Besetzung und diese ist für uns die wahren ATTAQUE77.
Wir spielten bereits mit den RAMONES, SEX PISTOLS, MOTÖRHEAD, IGGY POP, DIE TOTEN HOSEN, …

1998 habt Ihr mal ein Album aufgenommen, welches nur Coverversionen (RAMONES, ABBA, STIFF LITTLE FINGERS, ERASURE, THE WHO, …) enthielt. Sind das alles Eure musikalischen Einflüsse? Welche musikalischen Einflüsse habt Ihr noch, neben 77´er Punk?
Hmmh. Ein paar von ihnen, ja. Aber eigentlich wollten wir mal was ganz anderes machen. Es ist einfach, einen RAMONES-Song zu covern. Aber wir hatten auch Spaß daran, ABBA-Songs in ein 77´er Gewand zu stecken. Das war großartig. Oder ERASURE. Die sind eigentlich ziemlich schrecklich. Aber es war ein Experiment, einen Song von ERASURE zu verwursten. Die Grundeinflüsse kommen natürlich alle vom 77´er Punk, also PISTOLS, RAMONES, THE CLASH.

15 Jahre sind eine ziemlich lange Zeit. Was gab es denn für Höhen und Tiefen?
Wir haben sehr klein angefangen & spielten in sehr kleinen Clubs, Undergroundclubs mit so ca. 50-100 Zuschauern. 1991 kam dann unser zweites Album heraus und plötzlich waren wir bekannt in Argentinien und vielen anderen Ländern Südamerikas. Es war ein großer Erfolg. Wir bekamen Gold und Doppelplatin und verkauften eine Menge Alben in Argentinien, Chile, Peru, Paraguay, Uruguay.
Danach, nachdem wir so viel verkauft haben begann für uns eine etwas schwierigere Zeit. So 1993 rum war das. Wir wurden vielleicht zu oft im Radio und im Fernsehen gespielt oder so. Keine Ahnung. Davon wurden die Leute vielleicht etwas müde.
Aber wir haben diese Situation überstanden. Und 1994 dann ging es dann wieder. Und das bis heute.

Wollt Ihr eine bestimmte Message unter die Leute bringen? Spaß, Revolution, Politik oder sonst irgendwas?
Unsere Songs handeln von Dingen, die uns passieren, die wir erleben. Es sind Songs über Liebe, Hass, Glück und Unglück.
Es lebt in Argentinien aber auch derzeit eine ziemlich politische Generation, worauf wir auch eingehen, welche uns manche Dinge immer wieder sagen lässt. Zum Beispiel wollen wir spätere Generationen daran erinnern, was in Argentinien passiert ist. Zum Beispiel der Putsch vor 30 Jahren, die Diktatur, in dessen Verlauf 30.000 Menschen starben. Über diese Dinge müssen und wollen wir sprechen, damit sich die Leute daran erinnern. Was wir den Leuten geben können, ist ein Moment der Erinnerung dieser Dinge.
Natürlich wollen wir aber auch eine Menge Spaß, eine gute Zeit mit den Leuten haben. Sie mal kurz die Arbeit oder ihre Probleme vergessen lassen. Genauso, als wenn man zu einem Fußballspiel geht, ins Stadion.

Hehe. Welches ist denn Eure Lieblingsmannschaft in der argentinischen Liga?

Boca. Die Boca Juniors.

In Argentinien füllt Ihr ja ganze Stadien. Jetzt hier in Europa, oder gerade hier in Deutschland geht es alles eine Nummer kleiner zu. Trotzdem. Kann man das Publikum miteinander vergleichen? Welche Unterschiede gibt es da?
Ja, in Südamerika haben wir ein großes Publikum und ich hoffe, in Deutschland wird es auch einmal so weit kommen.
Es ist aber im Großen und Ganzen das ähnlich. Musik ist eine internationale Sprache. Das was wir in Spanisch singen, hört sich hier in Deutschland vielleicht ein wenig sonderbar an. Der Spirit unter den Leuten ist aber der gleiche.

Hat sich das Publikum über die Jahre hinweg geändert?
Ja, es wachsen immer wieder neue Fan-Generationen nach. Das ist großartig.

Glaubst Du, daß das Publikum hier in Deutschland Eure Texte versteht?
Es ist vielleicht ein bisschen schwierig. Es gibt aber eine Menge Leute in Deutschland, die schon einmal in Argentinien waren oder sonst wo in Amerika. Die meisten Leute davon verstehen auch etwas Spanisch. Wir versuchen aber auch einige Sachen auf English zu erklären. Vielleicht sollten wir aber auch ein wenig Deutsch sprechen können. Zwischen den Songs, um den Leuten zu erklären, was gemeint ist.

In Argentinien habt Ihr bereits den Status den bei uns vielleicht am ehesten DIE TOTEN HOSEN einnehmen, mit denen Ihr ja auch schon zusammen gespielt habt. Was ich meine ist, daß sie von den Punks nicht mehr als Punkband angesehen werden. Durchaus aber noch gute Messages rüberbringen. Habt Ihr in Argentinien auch mit Kommerzvorwürfen zu kämpfen?
Ja, hatten bzw. haben wir. Aber da kümmern wir uns nicht großartig drum. Wir wissen was wir wollen, was wir sagen, was für Musik wir machen. Da stehen wir drüber. Diese Leute können sagen, was sie wollen. Wir wissen, was wir tun. Nee, da kümmern wir uns nicht drum.

Was bedeutet Punkrock für Euch? Ich meine die Lebenseinstellung. Ihr kommt eine Menge herum. Welche Unterschiede gibt es in den einzelnen Szenen, wo ihr schon wart? Also zum Beispiel den USA, Europa oder Lateinamerika.
Ich denke, es bedeutet überall das Gleiche. Es ist die Energie, welche Punkrock hat. Das ist überall auf der Welt gleich. Zwar hat sich seit 1977 eine Menge verändert und vielleicht sind auch einige Dinge verloren gegangen. Aber das wichtige ist, daß Leute, die etwas bewegen wollen, zusammenfinden und Wege gehen, die nicht ausgetreten sind. Vorbei an Regierung und Establishment. Punkrock bricht mit den Regeln die im Leben der Leute gefestigt sind.

Seht Ihr Euch denn selbst noch als Punkrockband?
Ich sehe ATTAQUE77 eher als Rock´n´Roll Band. Weil, wir spielen Punkrock, Skarock und Reggae. Wir mögen fast jede Art von Musik und wir wollen nicht, daß man uns nur in die „Punk-Schublade“ steckt. Ich finde unsere Musik großartig. Es ist besser, wenn Du offen für alles bist. Du kannst Musik viel mehr genießen.

Arbeitet Ihr lieber im Studio und bastelt an neuen Songs oder steht Ihr lieber auf der Bühne irgendwo auf diesem Erdenball?
Wir spielen lieber live, obwohl es auch schön ist, im Studio zu sein. Es sind eben die zwei wichtigsten Dinge, die eine Band ausmachen. Live spielen und eine gute Platte machen.

Im Jahr 2001 ist auf WOLVERINE RECORDS so eine Art "Best Of" von Euch erschienen. Warum jetzt mit "Trapos" ein Labelwechsel zu ÜBERSEE RECORDS?
Ja, das ist wohl Business. Wir versuchen immer, unsere Platten auch in Deutschland zu veröffentlichen. Was immer auch veröffentlicht werden soll. Wenn es gut ist, ist es uns egal WER es macht, wir wollen nur DASS es gemacht wird.

"Trapos" ist Eure neue Liveplatte die bei uns gerade erschienen ist. Warum kommt diese bei uns erst so spät? Ich glaube bei Euch gibt es sie schon seit 2001.
Ja, das ist es, was ich meinte. Wir sind noch nicht so sehr bekannt in Deutschland. Es hat so lange gedauert, jemanden zu finden, der die Platte hier veröffentlicht. Wir konnten das nicht von Buenos Aires aus machen. Also mussten wir warten, bis sich jemand fand. Jetzt ist sie aber raus und wir sind sehr zufrieden.

Was bedeutet eigentlich "Trapos“?
Trapos. Das sind die Flaggen, welche unsere Fans immer zu unseren Konzerten mitbringen. Sie machen Transparente mit Logos und Aufdrucken, wo sie her kommen oder ihrer Nachbarschaft. Es ist üblich in Argentinien, Flaggen zu Konzerten mitzubringen. Und das ist eine Idee, die wir von unseren Fans aufgegriffen haben. Wir haben diese ATTAQUE77-Flaggen gesammelt und daraus ein riesiges Backdrop gemacht, welches bei unseren Konzerten auf der Bühne hängt.

Mit welcher Band würdet Ihr hier gern mal auf Tour gehen?
Natürlich spielen wir hier gern mit den TOTEN HOSEN zusammen. Aber, keine Ahnung. Jeder, der die Bühne mit uns teilt ist in Ordnung.

Ihr habt also keine weitere deutsche Lieblingsband, neben den HOSEN, die auch in Argentinien bekannt sind?
Nein, nicht wirklich. Wir haben letztens mit GENERATION FUCK gespielt und sie waren großartig. Und mit der Schweizer Band TEQUILLAS. Mit denen sind wir letztes Jahr getourt.

Ihr kommt ja viel rum. Ihr seid auf Welttournee, welche über 100 Städte umfasst. Gibt es einen Ort, wo Ihr noch nicht wart & wo Ihr gern mal hin möchtet?
Ja, wir wollen irgendwann mal nach Japan.

Ich muss noch mal auf die Politik zu sprechen kommen. Wird sich die politische und wirtschaftliche Lage in Argentinien demnächst stabilisieren. Wo siehst Du Euer Land in, sagen wir, 10 Jahren?
Ja, es sieht momentan wirklich nicht gut bei uns aus. Aber der letzte gewählte Präsident hat schon ein paar gute Sachen mit der Armee und der Polizei geregelt. Und wir hoffen, daß es in ein paar Jahren besser aussieht. Ich hoffe, daß irgendwann keiner mehr wegen des Hungers sterben muss.

Neben Booklets kann man über die Homepage ja auch auf ganz andere Sachen/Missstände aufmerksam machen. Z.B. besser über die Politik in Argentinien zu informieren. Nutzt Ihr diese Möglichkeit oder habt Ihr schon mal in Betracht gezogen, dies zu tun?
Wir reden eigentlich nicht gern über Politik. Leider ist die Situation in Argentinien zu schlecht und wir können auch unsere Augen davor auch nicht verschließen. Es wäre wohl besser BLINK 182 oder SOOM 44 zu sein und nie eine Militärintervention mit gemacht zu haben und nur über Spaß zu singen…

Wie wichtig ist Politik für Euch innerhalb der Band?
Gar nicht wichtig. Sie existiert nur.

Und außerhalb der Band?
Ebenfalls.

O.k., zurück zur Musik. Die ARGIES sind bereits ziemlich bekannt in Deutschland. Vor kurzem waren sie ebenfalls hier in Berlin zu Gast. Habt Ihr Kontakt zu denen bzw. überhaupt Kontakte zu anderen argentinischen Bands? Kannst Du uns vielleicht sogar welche empfehlen?
Ja, die ARGIES und wir sind ziemlich eng befreundet. Wir halten auch Kontakt zu anderen argentinischen Bands. Um nur einige zu nennen: EL OTRO YO, CARAJO, KARAMELO SANTO, MASSACRE...........

Ihr habt eine ziemlich umfangreiche Homepage, leider komplett in Spanisch - dem ich nicht mächtig bin - fällt es Euch da leichter mit Euren Fans zu kommunizieren bzw. umgekehrt.
Den besten Kontakt mit den Fans bekommt man immer noch bei einem Konzert. Für Euch gibt es übrigens eine Website auf Deutsch, gemacht von ein paar Jungs aus Hamburg: www.attaque77.de

Ich weiß, es ist eine Scheißfrage, aber was sind Deine ALL-TIME-TOP 5 Alben?
AC/DC – Highway to Hell
SEX PISTOLS – Nevermind the Bollocks
MOTÖRHEAD – No Remorse
REVOLVER – The Beatles
und alles von Bob Marley

Und wo siehst Du Attaque77 in 10 Jahren?
Ahh, so weit planen wir gar nicht. Wahrscheinlich sind wir nächstes Jahr wieder hier. Das kann ich Dir sagen. Aber was danach kommt, kann ich Dir nicht sagen.

Irgendwelche letzten Worte?
Danke für das Interview. Musik ist zur Freude da. Das ist das Wichtigste. Ich hoffe man sieht sich irgendwann bei ATTAQUE77.