Wie lange hatte ich auf dieses Treffen gewartet? Viermal scheiterte ein Interview mit dem Godfather Of Ska LAUREL AITKEN. Mal war er krank. Mal hatte er keine Zeit, weil sein Flugzeug wartete. Mal war er zu müde nach der Show, um Fragen zu beantworten, usw. Bei seinem Alter von 77 Jahren und seiner großartigen, aber doch recht anstrengenden Bühnenshow sollte man ihm das nicht krumm nehmen! Aber ich blieb dran, nervte weiter sein Label und den/die Tourmanager. Am 6.3.2003 war es endlich soweit. Im Hotel Ibis in Berlin-Friedrichshain trafen wir in seinem Zimmer aufeinander. Es sollte ein langes, sehr spannendes und sehr unterhaltsames Gespräch werden. Manchmal war es auch eine Art Großvater - Enkel-Gespräch, weil Herr AITKEN manches sehr ausschweifend beantwortete, obwohl das vorher gar nicht gefragt worden war... Ursprünglich erschien das Interview im Wahrschauer-Fanzine # 46. Dies hier ist die (fast) komplett ungekürzte Fassung des Gesprächs. Lediglich einige Fragen, die Herr AITKEN in einem Satz trocken beantwortete, wurden weggelassen. Aus gegebenem Anlass wegen des Altersunterschieds und als kleinen Tribut sieze ich LAUREL AITKEN übrigens in der deutschen Übersetzung.
Als ich sein Zimmer betrat, war es 19 Uhr. Herr AITKEN sah „Heute-Nachrichten“ im ZDF.
Schauen Sie das nur wegen der Bilder oder können Sie Deutsch?
Nein, ich verstehe nur Deutsch. Sprechen kann ich es leider nicht, aber ich informiere mich gerne über das, was in der Welt so passiert.
Sie waren ja auch zahlreiche Male jetzt in Deutschland unterwegs...
Ja, aber ich kann Französisch, Englisch, Spanisch und Italienisch richtig sprechen.
Das finde ich auch bemerkenswert, zumal Sie nie eine Schule besucht haben.
Nun, in meiner Kindheit lebte ich in armen Verhältnissen. Ich habe mit elf Jahren begonnen zu singen, weil ich Geld brauchte. Es war eine schwere Zeit.
Ja, darüber hat man schon viel gelesen und gehört. Was mich jedoch interessieren würde, wäre, dass ihre Karriere ja große Hochs und Tiefs hatte. Zuerst sind Sie in Jamaika ein Superstar geworden...
Ja, die Leute liebten mich. Ich habe Ska gesungen. Das wollten die Leute haben...
Dann kam ihre Auswanderung nach England...
Genau, zu den ganzen weißen Jungs. Zu meinen Shows kamen immer Skinheads, aber auch ganz normale Jugendliche. Es war sehr schön. Ich habe für die weißen Skinheads gesungen.
Wie war die Situation genau? Sie kamen ja nicht wegen den Skinheads nach Europa, sondern weil die reichen Jamaikaner alle nach England gezogen waren. In ihrer Heimat in Kuba und auf der Skainsel Jamaika konnten Sie ja wenig verdienen.
Die Leute waren dort arm. In Großbritannien kamen fast keine Schwarzen zu mir, sondern Weiße, Skinheads eben.
Stimmt es, dass durch ihre Übersiedlung nach England das Label „Bluebeat“, welches uns so viele Skaklassiker im Lauf der Zeit geschenkt hat, gegründet worden ist?
Jamaikaner lieben es zu tanzen. Als aus New Orleans der Boogie kam, war die Zeit reif für Ska. Damals gab es noch keinen Bob Marley. - Du verstehtst, was ich meine - Als ich 1960 nach England ging, gab es dort zwei Plattenfirmen Starlite und die Andere hieß Melodisc.
Genau, und das soll der Vorgänger von Bluebeat gewesen sein.
Sicher, Ska kam aus Jamaika. Bluebeat war ein anderer Name dafür bei uns. Früher nannte man Ska auf Jamaika so. Das passte. Ich sprach mit dem Melodisc-Inhaber, weil er mich gefragt hatte, was der beste Name für eine neue Firma wäre. Er meinte „Bluebeat“. Ich sagte: ´Oh, ja, das gefällt mir.´So nannten wir es von dem Tag an Bluebeat.
In Jamaika waren Sie ja sehr bekannt, bevor Sie auswanderten. War die Begeisterung im britischen Publikum gleich ähnlich der in ihrer Heimat?
Es war in England einfach ein neuer Typ von Fan. Es waren Skinheads. Sie liebten meine Musik viel mehr als alle Anderen. Sie liebten ´Black Ska´. Sie waren viel treuer. Es war für mich eine Ehre ihnen jamaikanische Musik zu bringen und Bluebeat in Europa bekannt zu machen. In meiner Heimat waren die Leute satt.
Aber haben sich auf den Konzerten in England in den 60er Jahren nicht auch Immigranten aus Jamaika und die einheimischen Skinheads getroffen? Es waren doch einige nach Großbritannien gezogen.
Ja, sicher, schon ein paar. Aber die meisten waren eben Skinheads vor der Bühne. Vorher in Jamaika gab es Leute, die mir meine Karriere nicht gegönnt haben. Die Skinheads haben mich von Anfang an frenetisch unterstützt.
Welchen Abschnitt ihrer Karriere finden Sie eigentlich am Besten, am Produktivsten? Die 50er Jahre in Jamaika mit den ersten Schritten in Richtung Ska? Die 60er in England mit der Entstehung der Skinheads? Die 70er Jahre mit Reggae? Die 80er Jahre mit 2Tone? Oder die 90er Jahre mit ihren großen Liveerfolgen in Europa, speziell in Deutschland?
Die Zeit, als ich in Brixton gelebt habe. Als die Skinheads wiederkamen. Das war spannend und inspirierend.
Sie hatten unglaublich viele Begleitbands. Weshalb haben Sie keine feste Eigne?
Das war mein Fehler. Ich hatte eine feste Band, aber sie wollte nicht überall hin mitkommen. Sie wollten mitreden, wenn eine Tour anstand, ob das sinnvoll sei. Ich wollte einfach zu den Leuten, die meine Lieder mögen. Deshalb verließ ich sie. Als ich in England war, fragten mich die Veranstalter in Italien und Frankreich, ob ich nicht in ihren Ländern touren wolle. Ich freute mich und sagte zu. Danach fing das an, dass mich ständig Bands fragten, ob sie mit dir zusammen spielen können. Die jungen Gruppen lieben Ska. Ich tue es. Warum sollte man hier nicht etwas zusammenmachen? Wenn ich ihnen vertrauen kann, ist das kein Problem.
Dadurch entstehen jedoch oft Probleme für sie. Auf dem Easter Ska Jam 2002 z.B. hatten sie die NO. 1 STATION als Begleitband. Sie haben auf der Bühne oft geschimpft, wenn sie sich verspielt hat oder irgendetwas schief lief.
Das ist ein Problem der Stile. Ich habe meinen und jede Band hat ihren. Wir müssen uns aneinander gewöhnen, aber das ist nicht schwierig. Egal, ob NO. 1 STATION oder jemand Anderes, ich freue mich, wenn Gruppen meine Musik mögen und mit mir spielen wollen. In Deutschland ist es die COURT JESTER´S CREW, eine fabelhafte Band. Wohl die beste Begleitband überhaupt.
Besser als NO SPORTS und die BUSTERS, die sie auch schon begleitet haben?
Nun, das war eine andere Zeit. Das ist schon lange her. NO SPORTS war eine andere Ära. Die BUSTERS waren gut. Mit ihnen habe ich mein erstes Stück in Deutschland aufgenommen. NO SPORTS waren Skafans. Stimmt es, dass sie sich aufgelöst haben?
Ja, ich war bei einem ihrer drei Abschiedskonzerte in Süddeutschland. Seltsam, oder? LAUREL AITKEN steht immer noch auf der Bühne, während NO SPORTS, die das Alter ihrer Kinder haben könnten, in Rente gehen?
Das ist schade. Sie werden wiederkommen. Ich werde sie fragen.
Was macht eigentlich nach den zig Shows, die Sie gespielt haben, ein gutes Konzert für Sie persönlich aus? Die Reaktionen im Publikum, eine gut eingespielte Begleitband oder die Besucherzahl?
Das Publikum ist egal, denn wenn die Band mies ist, kann mein Auftritt auch nicht gut sein. Gestern sind wir in Hamburg aufgetreten. Es war einer der besten Gigs, die ich je gespielt habe. Das Publikum war so freundlich. Ich trete mit den fabelhaften PRESSURE TEANANTS aus England auf. Ich vergleiche schon lange nicht mehr, sondern genieße einfach jede Show. Für mich ist es immer wieder schön auf der Bühne zu stehen, weil ich mich freue, wenn ich meinem Publikum auch in meinem Alter noch gute Laune bringen kann.
Sie haben sehr oft in den vergangenen vier, fünf Jahren in Deutschland gespielt. Wie sieht es mit anderen Ländern und Kontinenten aus?
Oh, ich trete auch oft in Italien auf. Bevor ich diese Tour mit den PRESSURE TEANANTS in Deutschland begonnen habe, war ich sechs Wochen vorher in Japan unterwegs. Mich kann jeder sehen, der will.
Haben Sie dort die ROLLINGS aus Tokyo kennen gelernt? Die Japaner haben mir erzählt, dass sie sich auf ein Wiedersehen mit dem „ großartigen Sir AITKEN“ auf der Tour freuen?
Ich bin nicht großartig. Ich bin nur LAUREL AITKEN. was für ein grandioser Satz!, d.S.
Wer hat ihnen eigentlich den Titel „Godfather Of Ska“ verpasst? Das war doch bestimmt nicht ihre Idee.
Glücklicherweise war es keine Frau, die mich so nannte (großes Gelächter, seine Goldzähne funkeln vor Lachen) . Das ist lange her. Da habe ich in London im „Gaz Rockin´ Blues“ gespielt. Ich bin dort mehrmals aufgetreten. Der Tag, als der Titel erfunden worden ist, war ein Festival mit vielen Gruppen. Als mein Auftritt dran war, hat mich Gaz angekündigt: „Ladies & Gentlemen, here comes the one and only godfather of Ska - Laurel Aitken!“ Er hatte schon immer eine große Klappe. An dem Abend war die Presse dort. Einer von der Zeitung „Mirror“ und einer vom „Melody Maker“. Drei Tage später rief mich ein Freund an: Hast du die Zeitung gesehen? Im Melody Maker steht, dass du der „Godfather Of Ska“ bist. Dort war ein Artikel über mich. Ich sei der Erfinder des Skas, bla, bla, bla... Viel Unsinn also. Aber ich konnte das nicht mehr stoppen. Die Leute benutzen diesen Titel immer wieder. Irgendwann freundete ich mich damit auch an, weil ich der einzige Jamaikaner war, der diesen Musikstil die ganzen Jahre über in Ehren hielt. Obwohl: Bitte nenne mich den „kleinsten Mann des Skas“ ab jetzt bitte! Das gefällt mir. Das ist etwas Neues.
Also Herr AITKEN, wenn ich etwas Lustiges über sie schreiben soll, dann müssen sie mir auch ein wenig über das Label mit meinem Namen erzählen, für das sie gearbeitet haben: Dr. Bird Rec.
Oh, da kann ich wenig Komisches berichten. Das ist eine kleine, englische Firma in den 60er Jahren gewesen. Ich habe ein paar Songs für sie aufgenommen. Das Studio ist im voraus von mir bezahlt worden. Gaz meinte, dass er das schon irgendwie so gut wie möglich veröffentlichen kann. Nachher hat keiner von der Firma je mehr mit mir gesprochen. Es gibt Hunderte von solchen, unveröffentlichten Songs von mir.
Wir in Deutschland haben ziemliches Glück, dass wir Grover Rec. haben, die viele ihrer alten Scheiben und Songs herausbringen. Trotzdem veröffentlichen sie auch Platten außer der Reihe, wie die spanische Platte auf Liquidator, die man nur über Mailorder bei uns bekommt. Haben sie die Jahre über Lehrgeld in Sachen Plattenfirmen zahlen müssen?
Natürlich ein wenig, aber für den Vertrieb habe ich mich noch nie sonderlich interessiert. Ich muss Grover hier in Deutschland danken. Sie machen einen guten Job und bringen meine Platten heraus.
Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie mit der Mod-Band SECRET AFFAIR getourt sind?
Das war die Zeit, als ich „Rudi Got Married“ aufgenommen habe. Ich hatte gerade keine Begleitband für eine Tour. Wenig später haben mich die RODS (?) gefragt, ob sie mich begleiten können. Der Sänger der RODS war mit SECRET AFFAIR gut befreundet und meinte, dass er durch mich jetzt ja auf der Tour keine Aufgabe hätte. Er sang dann bei SECRET AFFAIR, die die Tour als Vorband dann mitfuhren. Also SECRET AFFAIR war nicht meine Begleitband!!!
Ein anderes Gerücht besagt, dass sie sehr lange in einem spanischen Restaurant in England gearbeitet haben.
Das ist richtig. Als Ska und Reggae am Boden war, und fast keiner mehr die Musik hörte, habe ich dort gearbeitet. Das war drei Minuten von meiner Wohnung entfernt. Ich habe dort viel teure Zeit verschwendet. Leute in Italien, Deutschland, Frankreich oder Japan wollten mich live sehen. Ich konnte jedoch nicht wegen der Kosten reisen. Die Zeit im Restaurant wäre wohl für jeden Künstler seine Schwerste gewesen, um seinen Lebensunterhalt weiter bestreiten zu können. Heute hat sich das glücklicherweise geändert. Ich gehe gelegentlich noch vorbei, um Hallo zu sagen oder eine Kleinigkeit zu essen.
Und was haben Sie dort getan? Waren Sie in der Küche beschäftigt?
Laurel Aitken lacht laut los:
Nein, ich habe gesungen. Ich in der Küche? Nein, so schlimm war es noch nicht um mich bestellt.
Ach so, in Deutschland kennen wir ähnliche Karrieren. Da treten Schlagerstars bei Möbelhaus-Eröffnungen auf. Auch ein großer Abstieg.
Sicher, fast so schlimm wie Kreuzfahrten.
Ich habe einen Konzertbericht in einer alten SKIN UP-Fanzine-Ausgabe gelesen, dass sie in England in den 90er Jahren auch in ganz kleinen Clubs, in Kneipen fast schon, aufgetreten sind. Welche Motivation steckte dahinter?
Nein, ich bin nie in kleinen Clubs für 100 Leute in Großbritannien aufgetreten. Immer in Großen!!!
Welches Gefühl ist es für Sie, wenn Sie auf so eine lange Musiklaufbahn zurückblicken? Sie können so viele Texte ihrer alten Songs noch, aber rein körperlich sind nur noch eine Stunde oder 90 Minuten Spielzeit live möglich. Langweilen sie sich nicht, wenn sie nicht variieren können und quasi ständig ihr gleiches Best Of-Programm ihren Fans bieten müssen/sollen?
Ein Liveauftritt ist immer schön.
Wie stellen sie ihre Songs für ihr Programm denn zusammen?
Ich habe zwar ein große Auswahl zur Verfügung, aber die Leute schreien schon immer beim Gig: „Spiel ´Sally Brown´! Gib uns ´Mad About You´ - ´Skinhead Train´ - ´Bad Minded Woman´ - oder natürlich ´Skinhead´.” Mir ist es wichtig, dass meine Begleitband diese Songs perfekt kann. Mit noch mehr Stücken überfordert man sie eher.
Hat einer wie LAUREL AITKEN noch Wünsche für die Zukunft? Von guter Gesundheit natürlich einmal abgesehen.
Es soll bald ein neues Album geben. Ich werde mir die besten Studiomusiker zusammensuchen. Keine eigne, feste Band, nur für die Aufnahmen. Das Album wird völlig anders werden. Mehr Rock gemischt mit Ska und Reggae.
Sie können doch Klavier spielen. Wann werden wir LAUREL AITKEN einmal mit einer Piano-Tour sehen, wo er viele rare Stücke spielen wird?
Oh, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber die Idee ist gut. Doch meistens bin ich nach einer Stunde auch körperlich geschafft. Nicht wegen des Tanzens, sondern wegen der Luft und den Scheinwerfern auf der Bühne.
Vielen Dank für Ihre Zeit, das Interview und ihre Interpretation von Ska!
Als das Diktiergerät ausgeschaltet war, drückte ich ihm noch einen TwoTone-Niter-Flyer (Am 2. Freitag im Monat, Kulturfabrik, Berlin-Moabit) in die Hand. Er meinte darauf trocken, ich solle ihm ein Klavier beschaffen, dann tritt er dort auf. Immer diese Rude Boy-Witze, um mich aufs Glatteis zu führen, tz, tz, tz... Eine lustige Marotte von LAUREL AITKEN ist übrigens, dass er sich von seinen Interviewern ihre Adresse geben lässt, um ihnen (angeblich) unveröffentlichte Songs zuzuschicken. Ich kenne zwei andere Gesprächspartner von Herrn AITKEN, die wie ich auch nie ein Päckchen bekommen haben. Trotzdem finde ich die Aktion lustig, auch falls es lediglich eine reine Höflichkeitsgeste ist, um Interesse am Interviewer zu betonen… Aber vielleicht kommt ja noch etwas… Er ist ja ständig auf Tour und hat keine Zeit fürs Päckchen packen….
Autor: Vogel