La Chicana

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Argentinien - verruchte Frauen in verrauchten Bars, Männer mit in Wellen gegelten Haaren, feurige Tänze auf verstaubtem Parkett, Passion, ein Hauch von Melancholie in der Luft - Tango. Zumindest ist das allgemeinhin das Bild, welches mit den Frachtschiffen über den Atlantik nach Europa transportiert wurde. Hinter Tango verbirgt sich jedoch weitaus mehr, als nur ein Tanz, der aus den Untiefen Lateinamerikanischer Milongas kommt. Was alles dahinter steckt, welche Strömungen es gibt, was Tom Waits mit Tango-Autoren zu tun hat und dass der Tango ursprünglich ein europäisches Hybrid in Lateinamerika war, erzählen Sängerin Dolores und Gitarrist Acho von der „Nuevo Tango“- Band „La Chicana“ aus Buenos Aires, deren neue CD „Cancion Llorada“ in Deutschland gerade erschienen ist.

Wann und wo und aus welcher Motivation heraus hat sich die Band gegründet?
Dolores: Acho und ich machen schon seit 9 Jahren zusammen Musik. Wir sind auch privat ein Paar. Irgendwann merkten wir dann, dass wir zwar mit der Musik Geld verdienten, aber nicht sehr glücklich mit dem waren, was wir machten. Demzufolge fragten wir uns: Was wollen wir denn eigentlich machen? Und unserer beider Antwort war: Tango! Uns gefiel die Musik schon von klein auf, aber über einen langen Zeitraum hinweg erschien es uns etwas komisch, Tango zu spielen, weil der Tango in Buenos Aires in den Händen von Leuten einer anderen Altersklasse war, die außerdem eine sehr eigene Ideologie hatten. Wir gingen zum Tanzen selbst immer in die Milongas ( Argentinische Tanzbars ) und merkten dann, dass die Jugendlichen sich langsam anfingen, für den Tango zu interessieren. Vor allen Dingen für den Tanz. Deshalb beschlossen wir, Tango zu spielen. Anfangs spielten wir kurze Zeit klassischen Tango, Acho fing aber bald selbst an, Tangos zu komponieren. Er hat vorher schon sein ganzes Leben lang Rock und Folklore komponiert und ich habe Boleros, Flamenco und Tango gesungen und in einer Rockband mit ihm zusammen gespielt. Wir fingen also an, die von ihm komponierten Tangos zu spielen und merkten, dass uns das eine gewisse Identität im neuen Tango-Bereich verlieh, der gerade im Kommen war. Und innerhalb dieser Identität fingen wir dann an, mit den Grenzen des Tango zu spielen.

Im Jahr 2004 habt ihr den „Premio Gardel“ in der Kategorie „Nuevo Tango“ gewonnen. Was sind denn die Charakteristika des „Neuen Tango“?
Acho: Dass wir den Preis gewonnen haben war eigentlich sehr komisch, denn in der Kategorie „Nuevo Tango“ nehmen sehr unterschiedliche Musiker und Musikstile teil. Zum einen wir, mit unserer Mischung aus traditionellem aber zugleich modernem Pop-Tango, mit einer gewissen Punk-Attitüde. Und zugleich nimmt zum Beispiel ein 70 Jahre alter Pianist teil, der halb-verrückt ist und Einflüssen von Strawinskie hat, sprich deformierten Tango spielt. Und dann gibt es noch den Elektro-Tango, oder Tango mit Jazz-Einflüssen. Wie man sieht, bringt diese Kategorie viele verschiedene Einflüsse zusammen. Deswegen fange auch die Jugendlichen an, sich dafür zu interessieren. Es gibt aber keine einheitliche Kategorie „Neuer Tango“. Wir repräsentieren einen Musikstil dieser Kategorie, aber es gibt auch Künstler, die wieder etwas ganz anderes machen.

Carlos Gardel, nachdem auch der Preis benannt ist, war einer der ersten, der mit einer neuen Form des Tango angefangen hat. Was änderte sich dadurch?
Acho: Gardel war der erste, der mit der Tango Cancion , dem Lied, angefangen hat. Vorher war der Tango instrumentaler und einfacher. Gardel war der erste, der den Tango als Lied mit eigenen Geschichten, Tragödien, schrieb.

Dolores: Gardel war der Anfang des Tango. Er repräsentiert den ältesten Tango. Danach fing eine Epoche an, in der die großen Orchester und auch der Tanz selbst eine sehr große Bedeutung hatten. Dann kam eine Weile lang gar nichts und in den 60er Jahren gab es dann eine Revolution mit Astor Piazzolla , der Jazz-Einflüsse mit einbrachte, die Metrik veränderte und anfing, die Texte auf eine andere Art und Weise zu schreiben. Uns gefällt diese letzte Epoche aber nicht und wir wollen mehr zu den Anfängen zurück, zum Tango von Gardel, weil die Zeit damals sehr viel rebellischer, wild und primitiver, dafür aber sehr viel punkiger war.

Acho: Die Musik ist etwas aggressiver, weniger intellektuell und dafür populärer.

Dolores: Die Musiker kamen nicht aus der Musikschule, sondern waren aus dem Volk. Die Texte waren dafür einerseits etwas rauer, andererseits aber auch sehr romantisch.

Acho: Die Poesie ist realistischer, echter und nicht so surrealistisch und abstrakt wie später.

Dolores : In den 60er wurde es esoterischer.

Der Tango erscheint, wenn man ihn genau betrachtet, sehr paradox. Ursprünglich kommt er aus den Dörfern und Bordellen, wird mittlerweile allerdings in der ganzen Welt gehört, in großen Clubs gespielt und mit Großstädten wie Buenos Aires und Montevideo assoziiert. Und obwohl man bei Tango an Lateinamerika und Argentinien denkt, waren die ersten Personen, die anfingen Tango zu spielen, europäischen Immigranten.
Acho: Die erste Revolution des Tango fand in den 20er Jahren statt, als die Musik überging von den Musikern aus den Dörfern, von den einfachen Leuten, die nach Gehör spielten, zu sehr jungen Musikern, die aus der Musikschule kamen. Diese fanden gefallen am Tango und leiteten die erste Revolution des Tango an, da sie zwar die gleiche Musik spielten, allerdings mit mehr Tiefgang, mehr Regeln, mehr Kontrapunktion. Julio de Caros war einer der wichtigsten Musiker dieser Zeit. Die „Goldene Ära“ des Tango war in den 40er Jahren, als der Tango eine Kombination aus der traditionellen Spielweise des Tango, dem populären Tango, mit dem akademischen war. Danach gewann die akademische Spielweise die Überhand und der Tango wurde sehr intellektuell. Deshalb sagen wir auch immer, uns gefällt die Musik der ersten Revolution, d.h. Musik, die einfach ist, populär und ethnisch, folkloristisch aber mit Regeln und ausgebildeten Musikern, die Harmonien und Kontrapunktion zu spielen wissen. Der Geist der Musik bleibt dabei aber populär, d.h. für alle.

Wenn man an Tango denkt, kommt man schnell zu Attributen wie Liebe und Passion. Ein immer wiederkehrender Bestandteil ist allerdings auch der Humor oder die Ironie, die sich in den Texten und bei den Konzerten widerspiegeln. Ist das etwas, das immer Bestandteil des Tango gewesen ist?
Dolores: Ja, ich denke schon. Es ist aber auch etwas, das während einiger Jahre zurückgegangen ist, da einige Musiker den Tango eine sehr ernste Note gegeben haben. Das passiert häufig, wenn folkloristische Musik zu einem Elite-Status empor gehoben wird. Nehmen wir z.B. deutsche Musik von Bach, die jetzt von Männern in Anzug gespielt wird, anfangs aber auch populäre Musik war. Dadurch geht natürlich viel verloren. Und das Selbe ist auch mit dem Tango passiert. Der Humor war zwar immer Bestandteil des Tango, aber mehr und mehr Gruppen fingen an, in Hemd und Kragen aufzutreten, sodass man sich fragen musste: Wo ist denn der Geist des Tango geblieben? Der kommt doch von der Straße, oder? Deswegen bleiben wir auch bei der ursprünglichen Form, die feierlich und zugleich tragisch ist, aber immer ein Lächeln dahinter versteckt.

Acho: Der Humor geht niemals verloren. Selbst wenn er noch so tragisch ist, bleibt der Humor immer Bestandteil.

Die Frage ist allerdings, wie viele Leute das wissen? Es erscheint mir, dass Tango in den wenigsten aller Fälle mit Humor in Verbindung gebracht wird.
Acho: Das ist wegen dem Import-Export-Stempel, der dem Tango über Jahre aufgedrückt wurde und mit dem der Tango in der ganzen Welt verkauft wurde.

Dolores: Deswegen ist es auch so komisch, dass die Leute, die den Tango jetzt hören, häufig ältere Menschen sind, die aus gehobenen Schichten kommen. Und erst seitdem die junge Generation sich wieder anfängt dafür zu interessieren und den Tango auch tanzt, merken die Leute wieder, dass im Tango weitaus mehr steckt.

Acho: Der Tango kommt ursprünglich au den Bordellen und hat viel mit der Mentalität der Argentinier zu tun, der Tragikomik. Entgegen der Tragödie immer ein Lächeln auf den Lippen zu haben, d.h. sogar auf der sinkenden Titanic noch zu tanzen. Das ist sehr wichtig für uns, da das die Essenz des Tango ist. Der Argentinier, der im Angesicht seiner Tragödie lacht.

Welches Publikum hört heute die Musik von „La Chicana“?
Dolores: Das Publikum ist sehr verschieden. Es gibt keine klaren Strömungen im „Nuevo Tango“. In den letzten zwei Jahren wurde der Elektro-Tango sehr stark, aber das Publikum vom Elektro-Tango sind fast ausschließlich Leute, die elektronische Musik hören, also hauptsächlich Leute, die Elektro hören, aber nichts mit Tango zu tun haben. Dann gibt es eine Strömung, wenn man es so nennen will, die von Piazzolla kommt und eine weitere, die wir „ Cabeza de Lanza “ nennen, da sie ihre Ursprünge im Rock hat. Mit mehr Freiheit, Humor, Spontaneität, Einflüssen der Beatles, d.h., dass sogar Songs von Hendrix gespielt werden können, was auch immer. Und von dieser Richtung sind wir die bekanntesten. Es gibt auch nicht viele andere Künstler, die diese Musik machen. Deswegen fällt es uns immer noch schwer, einen Platz im heutigen Tango zu finden.

Spielt ihr viel in kleinen Clubs?
Acho: Ja, als wie angefangen haben schon. In Milongas haben wir auch gespielt. Was allerdings überraschend für uns war, ist, dass bekannte Größen zu uns gekommen sind und uns bewundert haben, weil sie verstanden haben, dass wir den Tango der frühen Epochen auferstehen lassen wollten. Später kamen dann mehr und mehr jüngere Leute dazu, die jetzt den Großteil unseres Publikums ausmachen.

Dolores: Was auch wichtig ist zu sagen, ist, dass Acho auf eine sehr klassische Art und Weise schreibt, die einigen älteren Leuten sehr gut gefiel. Und ich singe ebenfalls auf klassische Art und Weise und bin als Person eher klassisch. Ich bin keine Rockerin oder so etwas. Das war eine neue Art der Darstellung, die vielen älteren Leuten gefiel. Aber wir haben uns auch weiter entwickelt, und was den Leuten damals noch gefallen hat, gefällt ihnen heute vielleicht schon nicht mehr, weil es ihnen zu speziell ist.

Acho: Auf der ersten CD waren ungefähr 70% klassische Tangos und 30% meine eigenen Sachen und jetzt ist es genau umgekehrt.

Eure neue CD, die gerade in Deutschland erschienen ist, heißt „Cancion Llorada“ (Geweintes Lied). Warum wurde dieser Titel gewählt?
Acho: Das Lied handelt von einem Mann, dessen Frau ihn verlassen hat und irgendwo auf dieser Welt verschwunden ist. Das einzige was ihm von ihr bleibt, ist dieses Lied, dass er anstelle es zu singen, weint. Deswegen der Name „Cancion Llorada“. Ich wusste anfangs nicht, welchen Titel ich der CD geben sollte. Als ich dann das Demo von „Cancion Llorada“ Dolores zu hören gab, waren wir beide gerade etwas traurig, weil kurz davor unser Hund gestorben war, und Dolores fing sie an zu weinen. Deshalb dachte ich mir, der Titel des Albums müsse auf jeden Fall dieser sein.

Auf der CD befindet sich auch eine Interpretation des Liedes „Franks Wild Years“ von Tom Waits, in dessen Beschreibung steht, dass Tom Waits für dich einer der größten Tango-Schreiber ist. Wie lässt sich das erklären?
Acho: Ja, das liegt daran, dass es uns gefällt, den Tango-Geist dort zu finden, wo er eigentlich nicht herkommt. Wie z.B. auch Kurt Weil und Berthold Brecht. D.h., als wir dieses Lied gefunden haben, haben wir es erst einmal in den Lunfardo umgeschrieben, die Sprache des Tango. Dann haben den Titel, den Text und die Musik geändert. Dieses Lied hat uns aber gefallen, weil es einen ähnlich dem Stil wie den des Tango hat. Auch die Tragikomik die darin enthalten, gleicht der des Tango. Es ist, als ob einer eine Geschichte erzählt, über die man zwar lacht, die aber eigentlich außerordentlich tragisch ist.

Und wie ist die Reaktion des Publikums in Europa auf eure Musik?
Dolores: In Deutschland lief es bis jetzt sehr gut. Es scheint, das das Publikum unsere Musik sehr gut versteht. Ich nehme aber an, dass es von Land zu Land unterschiedlich ist.

Acho: Es sah lange Zeit auch so aus, dass die Leute in Japan und Europa, dort wo Tango gehört wurde, nur für den klassischen Tango interessieren würden. Den traditionellen Tango, der seit 50 Jahren der gleiche ist. Über Jahre hinweg sahen wir junge Orchester, die konservativen Orchester der Musikschulen, auf Tour in Japan und Europa gehen. Aber wir dachten uns, unsere Stunde würde kommen. Eines Tages würden die Leute den rockigen Tango, den aktuellen auch verstehen. Und der Moment ist jetzt gekommen.

Dolores: Wir mussten im Ausland auch den gleichen Weg gehen, wie in Buenos Aires, d.h., nicht vor dem typischen Tango-Publikum auftreten, sondern darauf warten, bis sich ein anderes, ein neues Publikum für den Tango interessieren würde. Unsere Musik ist nichts ältere Leute oder Japaner, die eigentlich Piazzolla hören. Unsere Musik ist für Leute, die gern Tango hören, aber etwas mehr wollen, als das übliche. Leute, die einen Sinn für das Originelle und eine neueartige Ausdrucksweise des Tango haben.

Vielen Dank für das Interview

Autor: Anne