La Vela Puerca

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21.6.2005, Fête de la Musique
LA VELA PUERCA sind in ihrem Heimatland Uruguay Superstars. Sie spielten 2004 in Deutschland, zusammen mit DIE ÄRZTE, vor bis zu 15.000 Zuschauern pro Abend und ihr tanzbarer Latin - Ska begeistert auch hier immer mehr Menschen. Nun sind sie, zum mittlerweile fünften Mal in unseren Landen. Für die alljährlich in Berlin stattfindende Fête de la Musique hat die Pizzeria Due Forni eine Bühne aufstellen lassen. Kurz vor ihrem Auftritt erzählen sie, was sie von Deutschland halten, der politischen Situation in Uruguay und Südamerika, was sie zu Sendungen wie „Popstars“ stehen und vieles mehr…

Was haltet ihr von Deutschland?
Deutschland gefällt uns. Wir sind nun zum fünften Mal hier und lernen Land und Leute immer besser kennen. Als wir das erste Mal hier waren, taten wir uns etwas schwer, weil die Leute hier die Texte nicht verstehen und wir dachten, dass sie Gefühlskälter sind und nicht tanzen würden. Aber dann trat genau das Gegenteil ein. Obwohl sie die Texte nicht verstanden, verstanden sie die Aussage der Band. Sie kamen um sich zu amüsieren und spätestens ab dem dritten Song waren alle am Tanzen und feiern. Das hat uns sehr glücklich gemacht.

Wenn ihr die Fans aus Deutschland und aus Uruguay vergleicht – wo liegen die Unterschiede?
Der Uruguayaner ist viel kritischer. Es ist fast unmöglich, dass ein Uruguayaner sich zum ersten Mal eine Band anhört die er nicht kennt und am Ende tanzt. Er guckt dich eher kritisch an, so nach dem Motto: „Zeig mal was du kannst“.

Voriges Jahr (2004) wart ihr mit „Die Ärzte“ auf Tour. Wie kam der Kontakt zustande?
Es war alles total zufällig. Wir kannten nichts von den Ärzten. Sie auch nicht von uns. Aber der Bassist von der Berliner Band „She Male Trouble“ kannte „Die Ärzte“ und wusste, dass sie in Südamerika spielen wollten. Also hat er den Ärzten unsere CD gezeigt und denen hat das gefallen. Wir beschlossen uns gegenseitig zu supporten. Es war eine unglaubliche Erfahrung. Mit den Ärzten in Deutschland zu spielen war schon sehr verrückt, weil wir auch unsere eigene Tour hatten und einen Tag vor 100 Zuschauern spielten und dann am nächsten Tag mit den Ärzten vor 15.000 Zuschauern usw…Danach haben die Ärzte mit uns in Argentinien und Uruguay gespielt und das war auch ziemlich verrückt, weil sie ja plötzlich unser Support waren. Das war bestimmt auch sehr ungewohnt für „die Ärzte“, dass sie keiner kannte. Wir spielten auch auf einem großen Festival in Uruguay vor 70.000 Leuten und stellten sie als unsere Gäste „Die Ärzte“ aus Deutschland vor. Ich denke es war eine sehr interessante Erfahrung für sie.

Eure Songs handeln von Freiheit und kritisieren teilweise auch die Gesellschaft. Was würdet ihr auf dieser Welt verbessern wenn ihr könntet?
Die Sensibilität. Ich glaube, dass die Menschen sensibler sein müssen. Der Mensch an sich ist dabei sich in eine einzige Firma zu verwandeln. Jeder fängt an nur an sich selber zu denken ohne dass ihn die anderen kümmern. Die Menschen wieder zu sensibilisieren, um mehr Solidarität zu erlangen ist ganz wichtig.

Das müssen zwei sehr unterschiedliche Welten sein Deutschland und Uruguay…
Uruguay ist ein Land der dritten Welt. Wenn man in Südamerika lebt ist man sehr arm. 40% der Kinder in Uruguay leben in totaler Armut. Uruguay ist ein Land mit vielen Problemen. Das gleiche gilt für die Nachbarländer. Argentinien, Brasilien…In Brasilien sind es 40 Millionen die in totaler Armut leben. Stell dir vor: Deutschland hat 80 Millionen Einwohner und in Brasilien sind es 40 Millionen die in kompletter Armut leben. Bei uns ist ein großes Problem, dass das Geld sehr schlecht verteilt ist. Es gibt einige wenige Leute die superviel Macht haben und superreich sind und dann gibt es sehr Viele die gar nichts haben. Das ist wieder das Problem mit der Sensibilität. Wenn alle etwas solidarischer wären könnte man die Welt auf einem anderen Niveau aufbauen. Es gibt so viele Menschen die ihr Geld verschwenden und andere haben gar nichts. Auch die neuen Generationen sind von Bedeutung. Sie essen nicht viel und wachsen unter falschen Umständen auf, so werden sie nicht viel bewirken können. Ganz langsam verändert sich vielleicht was. Dabei sind Uruguay und Argentinien ja nicht mal so arm, wenn man sie mit Paraguay, Ecuador, Peru und Bolivien vergleicht. Aber uns allen wurde Geld geliehen. D.h. diese ganzen Länder haben Schulden bei den USA. Und man kann nicht mal die Zinsen zahlen. In Uruguay gibt es nun aber eine neue linke Regierung, in Brasilien und in Argentinien auch. Also gibt es schon einige Veränderungen zurzeit und die Leute fangen an bessere Notfallpläne zu schmieden um den ganzen Problemen zu begegnen. Die Veränderungen brauchen Zeit, aber zumindest haben sie begonnen.

Also gibt es Veränderungen…
Ja es gibt Veränderungen. Die Regierungen wechseln…Es müssen noch viel mehr Leute ausgetauscht werden die an der Macht sind. Es gibt Politiker die schon seit sehr vielen Jahren regieren. Es gibt viel Korruption in Südamerika. Die Menschen denken nur an sich selber und daran möglichst viel Kapital anzuhäufen. Vielleicht denken sie noch an ihre Freunde, aber die anderen sollen sehen wo sie bleiben. Aber gut, hoffen wir das sich alles Schritt für Schritt verbessert…

Ich habe gehört, dass euer Schlagzeuger krank ist. Wie geht es ihm jetzt?
Ihm geht es gut. Er musste mehrmals operiert werden. Er hat einen Tumor im Kopf. Aber es ist kein bösartiger Tumor. Er wächst und bedeckt wichtige Stellen im Gehirn und war schwer zu entfernen, aber es geht ihm trotzdem gut. Nur diese Touren die wir machen von z.B. 36 Konzerten in 40 Tagen, bei denen wir jedes Mal viele Kilometer zurücklegen waren nichts mehr für ihn in seinem Zustand. Aber er spielt und ihm geht es glücklicherweise gut.

Wie alt wart ihr als ihr anfingt Musik zu machen?
Diesen Dezember wird die Band 10 Jahre alt. Vorher gab es auch einige Projekte rund um die Musik. Am 24.12. vor 10 Jahren fingen wir an, also direkt zu Weihnachten. In Montevideo gaben wir ein Gratiskonzert im „Bar del Tigre“ und dort feiern wir auch immer unseren Geburtstag in dem wir ein Gratiskonzert geben.

Und jeder für sich? Wie alt wart ihr als ihr anfingt Musik zu machen?
Nico: Ich fing mit ungefähr 11 an Gitarre zu spielen. Zuerst lernte ich Folklore, aber natürlich gefiel mir der Rock´n´Roll wie fast jedem aus unserer Band.

Seba: In meinem Fall war das so; Mein Dad spielt Gitarre, er lernte 15 Jahre lang Klavier, mein Großvater auch, meine Mutter spielt auch Gitarre und alle singen. So gab es bei mir immer viele Instrumente und sie waren wie ein Spielzeug mehr. Ich begann Klavier zu spielen, Gitarre, Schlagzeug usw. So war das in meinem Fall. Das ich spielend die Instrumente gelernt habe. Deshalb spiele ich mehrere Instrumente, aber nur ein bisschen.

Wenn ihr keine Musiker geworden wäret – was hättet ihr dann gemacht?
Hm…da muss ich jetzt mal überlegen. (Im Hintergrund: Chippendale!) Na also ich z.B. hab Kommunikationswissenschaft studiert. Es hat mir auch Spaß gemacht, aber ich weiß nicht…
Raphael z.B. unser anderer Gitarrist ist fast Tierarzt, Nico hat Ökonomie studiert, Seba hat eine Ausbildung im Hotel gemacht, ich Kommunikationswissenschaft – aber wir alle mussten wegen der Band mit dem aufhören was wir gemacht haben, weil eine Band Zeit fordert. Wir könnten natürlich auch weiter machen einigen fehlt ja nicht mehr viel um ihr Studium abzuschließen, aber ich denke wir genießen gerade alle sehr das Leben mit der Band. In 30 Jahren wenn wir alt sind werden wir weiter sehen.

Es muss auch schwer sein, wenn man eine Zeitlang studiert hat, dann wieder damit aufzuhören, oder?
Ja es gibt Leute denen das passiert. Aber in Uruguay gibt es nicht so viele Möglichkeiten. Von drei Personen die eine Sache studieren bekommt eine später einen Beruf in diesem Bereich. Es ist schwer Arbeit zu finden in Uruguay und wenn man nicht studiert hat ist es noch schwerer sich in der der Gesellschaft zu verankern. Es ist auch sehr schwierig den Beruf zu bekommen der einem Gefällt.

Ist euch nie in den Sinn gekommen auf Englisch zu singen?
Anfangs habe ich auf Englisch gesungen. Aber das war nur eine kurze Zeit. Es ist einfach nicht im Sinne der Band auf anderen Sprachen als auf Spanisch zu singen. Wenn wir etwas covern und das ist auf Englisch dann ist das was anderes. Aber wir komponieren nicht auf Englisch. Einen Song von uns auf Englisch wir es nicht geben. Unsere Sprache ist spanisch. 50% von der Musik die wir hören ist auf Englisch, weil English universell ist. Aber wir sprechen auch nicht gut genug englisch um auf dieser Sprache zu singen.

Welche Musiker haben euch beeinflusst?
Ich weiß nicht genau ob im musikalischen Sinne, ich glaube das was wir eher von anderen Bands übernommen haben ist die Einstellung, die Message und die Art und Weise Musik zu machen. Z.B. die Geschichte von Mano Negra die 1992 nach Südamerika kamen mit einer Theater- und Tanzgruppe, das hat uns sehr gut gefallen und so fingen wir mit „La Vela Puerca“ an. Es war nicht nur das Musikalische, sondern das wir auch Jongleure hatten, Theater, Trommeln, Freunde die anderen artistischen Aktivitäten nachgingen. Wir versammelten alle zu einem Konzert und tun das auch heute noch. Natürlich ist es schwer die ganzen Leute bis nach Deutschland mitzubringen, aber in Montevideo und Buenos Aires treten wir mit allen auf. Wir sind also mehr beeinflusst durch das Auftreten von Bands als durch deren Musik.

In einer Band ist man immer am Reisen. Da muss es schwer sein die alten Freundschaften zu erhalten, oder?
Ja, nicht alle Bands haben das Glück zu reisen. Es gibt viele gute Bands, z.B. in Argentinien, die aber nicht die Möglichkeit haben zu Reisen. Man muss die richtigen Leute kennen und auch das Geld haben um reisen zu können. Aber klar…wir sind 8 Musiker und 5 Leute kommen noch hinzu die mit uns reisen und so ist das Zusammenleben schon manchmal schwer. Wir sind auch schon vor der Band Freunde gewesen. Da ist das manchmal schwer, aber es baut sich auch ein größerer Zusammenhalt auf. Außerdem – ein Vorteil daran zu acht zu sein ist, wenn du dich mit einem streitest, dann bist du eben besser mit einem Anderen befreundet (lacht). Aber klar es ist nicht so einfach. Eine Band ist wie eine Ehe.
Naja und die Freundschaften von früher die sehen wir natürlich seltener als vorher, aber das kommt halt dadurch, dass wir mehr reisen. Die Freundschaften bestehen dann ja trotzdem noch. Wir sind nicht mehr 14 , Freunde in unserem Alter sind verheiratet, haben Kinder…Man sieht sich seltener aber so ist das Leben. Mit deiner Frau, deinen Kindern verreist du ja auch. Na ja, aber es ist dann ja nicht deine Arbeit.

Was glaubt ihr warum es so wenige Frauen gibt die Rockmusik machen?
Ich weiß nicht…gestern z.B. haben wir Farin Urlaub gesehen und da spielen mehrere Frauen in seiner Band. Ich weiß auch nicht warum. Wahrscheinlich weil die Rockmusik machohafter ist. Ich glaube, wenn du z.B. die Schlagzeugerin von Lenny Kravitz siehst, dass ist eine Rockerin. Ich glaube es müssen einfach nur mehr Frauen anfangen mehr Rockmusik zu machen. Für die Männer wäre das super, weil sie dann haufenweise auf die Konzerte stürmen könnten (Gelächter).

Kennt ihr so Shows wie „Popstar“? Was haltet ihr davon?
Ich glaube das ist eine reine Marketingsache. Das Ziel bei diesen Geschichten ist immer die Leute auszubeuten bis zum letzten. In Argentinien wird so was gemacht. Na klar, gehen Wünsche in Erfüllung im Rampenlicht zu stehen, aber ich denke das alles wird sehr genau aus dem Hinterhalt gelenkt und die Person wird wie eine Puppe gesteuert. Diese Shows sind für mich nicht sehr real. Sie sind sehr kommerziell. Natürlich kann daraus eine gute Sängerin hervorgehen, aber immer sind es andere die die Song machen. Für mi9ch ist das zu kommerziell. Mir gefällt das nicht.

Könntet ihr euch vorstellen in Peru zu spielen?
In Peru? Na klar! In Cusco würde ich gerne spielen, da war ich schon mal. Das Ding ist nur, dass in Südamerika die Entfernungen sehr groß sind. Deshalb ist es nicht gerade billig. Wir sind auch viele und deshalb müsste es gleich eine lange Tour sein um spielen zu können und das ganze zu finanzieren. Hier in Deutschland ist natürlich alles teurer, aber die Autobahnen in Südamerika sind auch nicht sehr gut. Und es teilweise auch sehr gefährlich. Vor einiger Zeit war ich in Paraguay, Peru, dort war ich in Machu Picchu und die Reise endete in Lima am Pazific. Uns allen würde das gefallen. Nach Lima zu fahren, Machu Picchu und auch La Paz. Aber es ist schwierig. Es gibt viel Armut und da macht es schwer. Hier in Europa ist es leichter. Hier kannst du auch an jedem Wochentag auftreten. Dort nur am Freitag und Samstag. Vielleicht noch am Donnerstag, aber ansonsten…Da würde keiner kommen. Da sind alle zu Hause. Und sehen Popstar (lacht).

Wir reden jetzt von Buenos Aires oder Montevideo, aber es gibt auch ganz viele kleine Orte an denen wirklich gar nichts los ist. Ich bin mit einem Zug durch Bolivien gefahren und da waren ganz viele Indigenas. Der Zug hält in der Mitte und da kommen ganz viele Indios. Es ist eine ganz andere Welt.

Und als letztes: Habt ihr einen Ratschlag für junge Musiker?
Ja. Sie sollen an sich glauben. Dir wünsche ich das auch.

Autor: Natalia Goldberg