Zuco 103

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Ob nun Jazz, Worldmusic, oder Brazilectro - keines dieser Attribute reicht aus, ZUCO 103, bestehend aus der brasilianischen Sängerin Lilian Vieira, dem Müncher Keyboarder Stefan Schmid und dem Holländischen Drummer Stefan Kruger, in ihrer vollen musikalischen Bandbreite zu erfassen. Und doch treffen all diese Bezeichnungen zu - teilweise zumindest - denn mit jeder Platte verändert sich der Sound und die Band geht einen Schritt nach vorn. Was seine Anfänge in Elektro-Jazz, Latin-Rhythmen und einer Vorliebe für neue Dance-Sounds nahm, entwickelte sich zu einer Mischung aus Jazz, House, Funk, Drum´n´Base, Bossa, Dub, afrokubanischen und äthiopischen Sounds, die jegliche Grenzen verschwimmen lässt.
Seit Juni 2005 ist nun das bereits dritte Album der Band namens „Whaa!“ in Deutschland erhältlich, das mit Gästen wie LEE SCRATCH PERRY und DANI von MACACO aufwartet. Grund genug, ein Interview mit dem sympathischen Keyborder Stefan Schmid zu führen und sich einmal ausführlich über die holländische Dance-Szene, bulgarische Cover-Bands, und die internationale Musiklandschaft zu unterhalten.

Gehen wir zuerst einmal zu den Anfängen der Band zurück: Du und Stefan Kruger habt eure Sängerin Lilian 1989 am Conservatory in Rotterdam kennen gelernt, wo sie Gesang studierte.
Ja, Stefan und Lilian sind dort zusammen getroffen und haben angefangen Musik zusammen zu machen, brasilianische MPB-Sachen (Musica Popular Brasileira, Anm. d. Red.) und Standards. Und ich hab damals schon mit Stefan zusammen in der Band SfeQ gespielt, 1991 war das. Übrigens war SfeQ die erste Jazz-Band mit DJ.

Wieso hat es letztlich dann doch noch so lange gedauert, bis die erste Demo 1997 heraus kam, damals noch unter dem Namen rec.a?
Jeder von uns hatte ungefähr zehn Projekte nebenbei zu laufen. Wir haben ja Jazz gemacht. Meistens wurden aber schon Sachen kombiniert. In einer Band haben wir z.B. kubanische Santaria-Musik mit Bata-Trommeln mit Jazz gemischt und die andere war eine Boogaloo-Big-Band, die Drum´n´Bass und House gespielt hat.

Waren das eher Live-Bands oder sind davon auch CD´s erschienen?
Ja, natürlich, davon sind auch CD´s erschienen. New Cool Connective war das eine, Lots of Music, das kubanische Kollektiv, und SfeQ hat´s auch lange geben. Da habe ich teilweise mitgemacht, war aber nie offiziell Mitglied.

Ihr habt also die verschiedensten Sachen gemacht. Wahrscheinlich, um dem kreativen Stillstand entgegen zu wirken?
Als Jazz-Musiker war es ganz normal, dass man mehrere Projekte hatte. Letztlich hatten wir dann aber irgendwann keine Lust mehr da drauf. Deshalb haben wir zu dritt dann beschlossen, unser eigenes Ding zu machen, uns von allen Bands zu verabschieden und mit Zuco anzufangen. Damals noch unter dem Namen rec.a.

Wieso wurde der Name dann geändert? Es sind ja auch gleiche Lieder unter beiden Bandnamen erschienen, wie z.B. der Album-Titel eures ersten Albums „Outro Lado“, der auf dem „Brasil 2mil“-Sampler noch unter dem Band-Namen rec.a erschienen ist.
Naja, rec.a war kein Bandname, das war mehr eine Art Projekt. Und wir dachten rec.a, rec.b, rec.c…klingt irgendwie nicht so. Gleichzeitig haben wir dann auch Kontakt zu unserem jetzigen Label Crammed bzw. Ziriguiboom gesucht, den wir zum Glück auch gefunden haben, und sind auf der ersten Compilation „Brasil 2mil“ erschienen, noch unter dem Namen rec.a. Danach sollten wir dann ein Album für das Label aufnehmen und mussten uns halt einen echten Bandnamen ausdenken.

Und wieso dann der Name Zuco 103 (einhundertdrei, one hundred and three, ciento tres...)?
Ja genau, das ist ja das Gute daran. In jedem Land kann man das in seiner eigenen Sprache aussprechen, zumindest die Zahl. Und Zuco ist ebenfalls relativ einfach auszusprechen. Also unter modernen Marketing-Gesichtspunkten ist der Name perfekt.

Ihr ward ja alle von verschiedenen Stilen wie Boogaloo, Bossa und Lilian natürlich von den alten brasilianischen Künstlern wie Caetano Veloso, Gilberto Gil aber auch Ella Fitzgerald beeinflusst. Wie entstand denn die Idee, diese Stile mit Elektronik zu fusionieren?
Ich hab mir schon Anfang der Neunziger meinen ersten Sampler gekauft und war total interessiert an Dance-, House- und Techno-Sachen. Ich bin auch wahnsinnig gerne auf Raves gegangen und all das. Drum´n´Base war für mich eine Offenbarung damals.

In einem Interview des Billboard über euer erstes Album „Outro Lado“ habt ihr gesagt, dass die Dance-Szene in Holland nicht besonders entwickelt war damals und dass die Holländer euch deswegen nicht ganz ernst genommen haben. Rock war eben mehr angesagt. Ist das immer noch der Fall, oder hat sich daran etwas geändert?
Na ja, in Holland sind wir mittlerweile etabliert, in dem Sinne, dass die meisten Leute uns kennen und wissen was Zuco bedeutet. Aber damals wollte wirklich niemand etwas von uns wissen…

…aber hat sich denn in der Musik-Szene etwas geändert, in dem Sinne, dass es jetzt mehr Bands gibt, die auch in eure, oder sagen wir mal die Brazilectro-, Richtung gehen?
Klar, es gibt noch andere Projekte, die auch verschiedene Sachen vermischen. Zum Beispiel eine Band, die auch brasilianische Sachen gemischt mit elektronischen Dingern macht. Zufällig sind die auch aus Amsterdam, aber bei denen klingt die Musik wieder anders. Andererseits finde ich aber auch, dass sich die holländische Szene noch nie dadurch hervor getan hat, dass sie besonders originell gewesen wäre. Außer bei Gabba. Und naja, was jetzt populär ist, sind Sachen wie DJ Tiesto und Sanda Kleineberg. Progressive House heißt das dann. Das ist diese schreckliche Teenie-Party-Mukke mit Synthesizern und so weiter; auch eine typisch holländische Erfindung.

Eure neue Platte „Whaa!“ ist gerade erschienen, und diesmal zeichnen sich neben den bekannten brasilianischen, elektronischen und Funk-Einflüssen auch afrokubanische, äthiopische und west-afrikaische Sounds ab. Haben eure ausgedehnten Touren um die ganze Welt einen Einfluss auf die Platte gehabt und sind deswegen mehr Stile enthalten, oder würdest du das der normalen Entwicklung der Band zuschreiben?
Schwer zu sagen. Ich meine, wir haben natürlich auch auf vielen Festivals gespielt und dadurch viele andere Bands gehört, viele afrikanische Bands. Auch afrikanische Bands, die elektronische Elemente mit einbringen. Aber wenn wir uns inspirieren lassen, versuchen wir uns doch eher von den puren Einflüssen, den Roots beeinflussen zu lassen. Wir schauen dann eher zur Folklore-Musik, zu den Basics, sagen wir mal. Dahin, wo es wirklich herkommt.

Woher kommen dann die West-Afrikanischen und Äthiopischen Einflüsse? Ward ihr in diesen Ländern schon einmal?
Nein, da waren wir noch nie. Aber wir hören solche Musik sehr viel, Afrikanische Sachen, Salsa, Afrokubanisches Zeug, Brasilianische Musik. Ich muss gestehen, dass wir uns selten Bands anhören, die das Gleiche machen wie wir. Wir versuchen eher auf die Basis zurück zu gehen.

Hörst du deine eigene Musik zu Hause?
Ich hab sie zu Hause, aber ich hör´ sie mir nicht an…

Worauf bezieht sich denn der Album-Titel „Whaa!“?
„Whaa!“ ist der Urschrei, wenn nach einem halben Jahr die Studio-Tür aufgeht und die Platte fertig ist…Kann aber eigentlich alles bedeuten. Man kann „Whaa!“ auf verschiedene Arten interpretieren. Und letztlich hat jedes Lied seinen eigenen „Whaa!“-Faktor.

Auf der neuen Platte gibt auch Kollaborationen mit Lee Scratch Perry und Dani von Macaco, beides Pioniere auf ihrem jeweiligen Gebiet, die allerdings auch sehr unterschiedliche Musik machen. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Dani kennen wir schon länger. Wir sind ihm oft auf Festivals begegnet und haben uns dadurch irgendwie angefreundet. Wir haben für Macaco auch etwas auf deren letzter Platte „Entre Raizes y Antenas“ gemacht. Für den Track auf unserer neuen Platte haben wir dann eine Soul-Stimme gesucht. Jemanden der echt eine erdige Stimme hat. Also nicht im amerikanischen R´n`B- Sinne, sondern einfach von der Farbe her. Und da war er genau der Mann.

Und wie lief das bei Lee Scatch Perry ab?
Ja, Lee hatten wir anfangs gesampled. Manchmal fangen wir die Grundidee einiger Stücke mit einem Sample an. Normalerweise wird das Sample später dann wieder weg geholt, weil wir keine erkennbaren Samples auf unseren Platten haben wollen. Lee hatten wir aber wie gesagt für ein Stück gesampled, und deshalb dachten wir, wir bräuchten jemanden, der so eine Stimme hat, einen Reggae-Sänger oder so. Wir haben dann nach jemandem passenden gesucht, aber uns ist niemand eingefallen. Und dann kam irgendjemand mit der Idee, ihn direkt selbst zu fragen. Zufällig hat er ein paar Wochen später in Amsterdam gespielt und wir haben ihn kontaktiert. Und zu unserer größten Überraschung hat er sich tatsächlich bereit erklärt, für total wenig Geld zu uns ins Studio zu kommen.

Die erste Single-Auskopplung ist „It´s a Womans World“. Warum wurde dieses Lied als Single ausgewählt? Wegen der Kollaboration mit Lee Scratch Perry oder weil Lilian etwas Spezielles damit ausdrücken wollte?
Man kann es auf verschiedene Arten interpretieren, aber eigentlich ist es ganz profan. Eine Single wird nach kommerziellen Aspekten ausgesucht, da hilft es erst einmal, wenn sie auf Englisch ist. Und wir profitieren natürlich auch von dem Namen von Perry. Obwohl das wiederum nicht von vornherein so geplant war. Es hätte genauso gut auch nicht zu diesem Lied kommen können, wär´ die Platte ein bisschen anders geworden. Aber mit Lee war auf einmal eine Connection da. Freitag haben wir ja auch noch in Paris gespielt, wo er dann zu uns kam und drei Nummern mit uns gesungen hat.

Es gibt doch auch ein Video von euch mit ihm …
Nein, leider nicht. Das war geplant, aber das hat aus eigenartigen Gründen, die gar nichts mit Lee Perry zu tun haben, nicht statt gefunden.

Das erste Lied eurer Platte „Na Mangueira“ bezieht sich auf die populäre Samba-Schule in Rio. Hat das auch etwas damit zu tun, dass Lilians Vater ebenfalls Präsident einer Samba-Schule in Rio ist?
Mangueira ist ein Begriff in ganz Brasilien und es ist eine der bekanntesten Samba-Schulen dort. Im Grunde genommen spiegelt sie aber das Brasilien der 50er Jahre mit Carmen Miranda und dieser speziellen Art zu singen wider. Deswegen imitiert Lilian am Anfang des Liedes auch einen ganz bekannten Radio-Moderator aus Brasilien, aus den 50er Jahren, der immer mit einer komischen verzogenen Stimme geredet hat.

Ihr seid nun schon eine Weile auf Tour und habt unter anderem auch in Bulgarien gespielt. Wie war denn die Reaktion dort auf eure Musik, wo doch aus dieser Ecke eher Balkan-Sounds kommen?
Ich muss sagen, uns hat es umgehauen.

Kennen die Leute dort eure Musik? Es gibt mittlerweile ja schon Elektro-Gypsy-Projekte, aber werden dort auch Partys mit lateinamerikanisch beeinflussten Sachen veranstaltet?
Also ich glaube, dass sich in Osteuropa etwas von der jungen Generation öffnet. Das sind Leute wie du und ich, und die saugen jetzt alles auf, wie ein trockener Schwamm. Jahrelang war das ja unmöglich und plötzlich öffnet sich die ganze Welt für sie. Und na klar gibt es da Raves und Riesenfestivals. Wir waren aber selbst zum ersten Mal in Sofia und konnten von daher anfangs gar nicht einschätzen, wie es werden würde und was uns erwartete. Letztendlich haben wir dann im „Palace of Culture“, einem Riesenkonzertsaal mit 5000 Leuten, gespielt, die völlig durchgedreht sind. Und die Leute aus der ersten Reihe haben alle unsere Texte mitgesungen.

Das heißt, dass das Publikum euch vorher schon gekannt haben muss…
Ja, ja. Ich meine, nicht dass wir da viele CD´s verkauft hätten. Grad in Osteuropa gibt es so einen Mafia-Straßenmarkt, dass du keine Cd´s verkaufst. Aber dadurch gelangt man immerhin auch zu Popularität.

Gibt es denn einen Vertrieb für eure Platten in Bulgarien?
Ja, die Leute die den Gig organisiert haben machen den Vertrieb für Bulgarien und haben ein kleines Plattengeschäft in Sofia. Die haben auch die ganze Promo gemacht für das Konzert. Wir haben übrigens sogar eine Cover-Band in Bulgarien, die wir dort auch kennen gelernt haben. Ich habe leider vergessen wie die heißen, aber sie wollten uns noch eine Aufnahme zuschicken. Drei Leute sind das, zwei Typen und ein Mädel. Und das Mädchen stand beim Konzert in der ersten Reihe und hat alles mitgesungen von den älteren Tracks.

Ist sie denn Bulgarin?
Ja, sie ist Bulgarin. Aber das Beste an der Sache ist, dass sie kein Wort Portugiesisch spricht und unsere Songs sind ja überwiegend auf Portugiesisch. Das ist alles phonetisch…

Das klingt ja fast nach japanischen Zuständen. Apropo: Ihr seid jetzt nur in Europa unterwegs. Ist denn wieder eine größere Tour für die USA, Brasilien oder Japan geplant?
Ja, ich schätze Anfang nächsten Jahres, USA und Brasilien und ein Teile Südamerikas. Wir haben diesmal auch Einladungen aus Chile, Venezuela und Argentinien. Ich hoffe, dass es klappt. Das ist immer eine Wahnsinns-Organisation.

Wann kommt die Platte dann dort raus?
Ich schätze die Platte kommt in Brasilien im Herbst raus. Das ist dann auch das erste Mal, dass sie dort vertrieben wird. In den USA kommt sie Ende des Sommers raus. Und wir haben noch einen Gig in Japan Ende Juli, das Fuji-Rock-Festival.

Aber wie war denn die Resonanz bis jetzt in Europa? Mir kommt es so vor, dass ihr in Deutschland bei weitem nicht so bekannt seid wie in Spanien. Dort kennt euch jeder und ihr seid jedes Jahr auf Tour. Wohingegen es in Deutschland eher mau aussieht.
Ja, ich finde es auch ein bisschen eigenartig. Aber vielleicht hat das mehrere Gründe. In Deutschland sind wir ganz am Anfang in der Weltmusik-Schublade gelandete. Außerdem sind die Genre-Grenzen hier auch härter, als in anderen Ländern. In Spanien fragen die dich gar nicht erst, wie du deine Musik kategorisieren würdest. Während es in Deutschland immer ein ziemlicher Unterschied ist zwischen Pop-Musik, Weltmusik und Elektronik. Und es vermischt sich ganz schwer. Wir hängen dann da immer zwischendrin.

Ja, das stimmt. In Spanien gehen die Leute auch überall zu der gleichen Musik ab. Aber es geht ja auch langsam in Deutschland los, dass immer mehr elektronische Musik mit weltlichen Einflüssen vermischt wird und zunehmend Partys in der Art organisiert werden. Brazilectro taucht in letzter Zeit häufig als Begriff auf…
Brazilectro ist ja eigentlich schon wieder tot. Obwohl ich den Begriff ich damals erfunden habe. Das war ein Titel auf unserem ersten Album „Outro Lado“. Ein, zwei Jahre später gab es dann die Compilation-Reihe „Brazilectro“, da wurde der Begriff das erste Mal von der Presse übernommen, weil es wohl ein Sound war, wo wir mit unserer ersten Platte herein gepasst haben, mit der zweiten allerdings schon wieder voll heraus gefallen sind. Ich denke, das Problem ist, dass die Presse immer gewisse Begriffe braucht, um Musik zu kategorisieren.

Das gleiche passiert ja im Moment auch mit der Mestizo-Bewegung…
…die es auch schon lange nicht mehr gibt.

Ja. Hier ist der Begriff allerdings erst seit Kurzem bekannt und die Bands, die aus dem spanischensprachigen Raum kommen und verschiedene Stile fusionieren, werden alle in die gleiche Schublade gesteckt.

Bands wie Ojos de Brujo z.B.…

…oder auch Macaco. Aber der einzige gemeinsame Nenner ist, dass verschiedene Stile vermischt werden. Denn letztlich hat jede Band immer noch ihren eigenen Sound. Ojos de Brujo und Macaco machen z.B. absolut unterschiedliche Musik und die jungen Straßen-Bands wiederum auch alle ihr eigenes Ding. Aber in Deutschland wird alles zu einem zusammen gefasst.

Ja, das ist eigentlich sehr Schade …

Schade ist auch, dass Zuco 103 letztlich nicht in Berlin gespielt haben. Hoffen wir aber, dass sich die Deutschland-Touren in Zukunft um ein paar Termine mehr erweitern werden und die Leute auch hier auf den Geschmack kommen. Auch wenn in den Konzert-Ankündigungen dann längst überholte Begriffe zur Beschreibung der Musik verwendet werden müssen.

Autor: Anne