Die CHEFDENKER aus Köln haben gerade eine neue Platte veröffentlicht. „Eine von 100 Mikrowellen“ heißt die und mehr will ich eigentlich gar nicht dazu sagen. Denn wenn man sich zu einem Interview mit einem CHEFDENKER hinreißen lässt, muss man sich geistig so anstrengen, daß man danach völlig ausgebrannt ist. Sicher könnte man mir jetzt den Vorwurf machen, daß ich mich nur an Claus hielt, um verborgene Geheimnisse über einige seiner Bands zu erfahren, daß wir wiederum unsere Auflage steigern können. Die Gründe liegen aber woanders und könnt Ihr dem Text entnehmen. Wichtig ist einzig und allein, daß sich der Kauf der o.g. Platte unbedingt lohnt. Genauso wie der Besuch eines Konzerts von ihnen. In den wenigen Jahren seit Bestehen der Band haben sie sich aber eh einen Namen gemacht, daß jegliche weitere Beschreibungen, Vergleiche überflüssig bzw. unangebracht sind.
Außerdem fallen mir keine weiteren Superlative ein, um die Band in den Himmel zu loben. Wer frühere Texte / Interviews von mir kennt, wird das sicher bestätigen können. Also sag ich einfach mal - viel Spaß beim Lesen.
Ich wusste zuerst nicht, ob ich das Interview per Mail oder persönlich führen sollte, weil bei den Interviews, die ich bisher gelesen habe, meist nicht so viel Interessantes bei rumgekommen ist. Per Mail kannst Du Deine Worte natürlich schön ausschmücken. Persönlich kann - wenn es schlecht läuft - auch nicht viel passieren. Was ist Dir denn am Liebsten?
Interviewtechnisch kommt von meiner Seite mit Sicherheit mehr dabei rum wenn's per eMail ist. Denn sobald ich in ein Mikrofon sprechen soll, habe ich augenblicklich das Bedürfnis ausschließlich Scheiße zu labern. Das habe ich bei meiner Lehrerausbildung so gelernt.
Deshalb versuche ich es erstmal mit Dir allein. Denn gerade im Beisammensein mit den Anderen würde es dann noch mal schwieriger werden, oder?
Naja - das Interview hätte zumindest einen anderen thematischen Schwerpunkt, Männerfantasien, Alkohol, Stuhlgang beispielsweise.
Gerade ist Eure neue Platte „Eine von hundert Mikrowellen“ erschienen. Wo liegen denn aus Deiner Sicht die Unterschiede zum Vorgänger „16 Ventile in Gold“? Und welche generell zu Deinen beiden Bands zuvor, die ja immer wieder gern als Vergleich herangezogen werden?
Bei der neuen Platte sind die zahlreichen musikalischen Klischees im Vergleich zum vorherigen Album wesentlich gezielter eingesetzt. Allerdings nie wertend sondern immer im Sinne einer Schlussfolgerung, also wenn schon „X“ dann bitteschön auch „Y“. Die Texte stehen oft im Bezug zur Musik und weniger für sich selber. Bei KNOCHENFABRIK findet man so gut wie nie solche Bezüge und bei CASANOVAS SCHWULE SEITE habe wir daran zumindest keinen Gedanken verschwendet.
Kurz gesagt - die meisten Songs der neuen Platte beschäftigen sich mehr mit sich selber als sonst.
Hmmh, ich führe das Interview jetzt auch gerade mit Dir allein. Das klammert die anderen ja leider ein bisschen aus. Das ist nur bedingt gewollt. Aber ist es noch so, daß die CHEFDENKER oft nur auf Dich reduziert werden? Wenn ja - wie gehen die anderen damit um? Und verfällt man dann vielleicht manchmal leicht in die Rolle des Bandhitlers?
Was musikalisch letztendlich bei allen Bands in denen ich gespielt habe herumkommt, hängt natürlich zu einem Grossteil von den anderen Bandmitgliedern ab. Insofern ist es auch Schwachsinn CHEFDENKER auf mich zu reduzieren. Wenn das in manchen Reviews der Fall sein mag, dann ist das eher ein sicheres Indiz für die Inkompetenz des Verfassers. Die Bandkollegen setzten in einem solchen Falle einfach die Sonnenbrille auf.
Jeder in der Band hat das Recht Bandhitler zu sein, wenn es darum geht einen eigenen Song umzusetzen. Wenn man sich einen Text und eine Akkordfolge mit Gesangsmelodie ausgedacht hat, dann ist das in der Regel mit einer Menge Arbeit verbunden. Diese Arbeit zu respektieren bedeutet, dass im Zweifelsfall der Songschreiber selbst das letzte Wort beim Arrangement hat.
Ich habe mehrere Jahre als Gitarrist bei BASH! mitgespielt, da wurden Songvorschläge mit dem Argument „finde ich scheiße“ ohne konstruktive Gegenvorschläge abgelehnt. Diese Arbeitsweise führt letztendlich dazu dass man sich irgendwann nur noch gegenseitig blockiert und 2 Platten innerhalb von 10 Jahren veröffentlicht.
Du warst ja mit all Deinen Bands nicht unerfolgreich. Bestand da manchmal der Wunsch / Traum, daß da mehr daraus wird? In welche Richtung auch immer… Oder bist so mit allem zufrieden, wie es gerade läuft?
Ich denke es ist erstrebenswerter immer genau das zu machen wozu man gerade Lust hat. Und man muss immer aufpassen, dass man nicht irgendwann das Gefühl bekommt, einen pädagogischen Auftrag zu haben. Rockkonzerte werden dann zum Frontalunterricht und Frontalunterricht ist nicht mehr zeitgemäß!
In Leipzig habt Ihr fast mal ein ganzes Konzert lang den KNOCHENFABRIK-Klassiker „Filmriss“ gespielt. Wie kam es dazu? Und ist es manchmal komisch für Dich, daß die Leute so in der Vergangenheit hängen und nicht zum Beispiel ein ganzes Konzert lang, anderthalb Stunden, „Der Spruch auf Deinem Anrufbeantworter ist scheiße“ hören wollen?
Das Konzert war ein Solikonzert für einen Köter, der vom Auto angefahren wurde. Vom Erlös wurde die Tierarztrechnung bezahlt. Wir haben bereits im Vorfeld angekündigt an dem Abend ausschließlich Filmriss zu covern, weil allen klar war, was uns an dem Abend erwartet. Die Filmriss-Rufe sind mittlerweile zum Running Gag bei Chefdenker-Konzerten geworden. Da es sich bei den Zwischenrufern meist um eine extrem besoffene Minderheit handelt, ist niemand böse, wenn wir das Lied nicht spielen. Übrigens gibt es eine signifikante Korrelation zwischen Hunde-Häufigkeit und Filmriss-Rufen.
Du hast vorhin von Klischees bedienen gesprochen. Inwieweit nehmt Ihr das ernst, was Ihr macht und inwieweit nimmt das Euer Publikum, nach Eurer Einschätzung, ernst?
Allein die Tatsache das 99% der aktuellen Unterhaltungsmusik eine Kinderliedstruktur haben wird es ja gar nicht als Klischee sondern als Selbstverständlichkeit hingenommen. Im Deutschpunk gelten noch mal ganz andere Gesetze: Alles was nicht die Struktur eines schnellen Kinderliedes hat, ist scheiße. Mit dieser Einstellung kann man sich eine ganze Menge Klischees, die die Musikgeschichte sonst noch zu bieten hat, ersparen.
Wir nehmen das was wir machen natürlich nicht ernst, es würde ja auch keinen Sinn machen, einem Marokkaner Ostfriesenwitze zu erzählen.
Natürlich. Aber immerhin scheinst Du auch ein Faible für Disco-Musik (Damit meine ich jetzt keine Bassistenmusik - obwohl…). Zu haben. Von KNOCHENFABRIKS „Fuck Off“ und CASANOVAS SCHWULE SEITES „Höllenfeuerlicht“ gibt es Discoversionen und auf der neuen Platte erklärst Du sogar, wie Discomusik funktioniert. Ein letzter Versuch in die Charts zu kommen? Langeweile zu Hause oder wie kam/kommt man auf so was?
Discomusik ist eine von tausend Möglichkeiten einen Song zu arrangieren. Sobald man sich beim Arrangieren eines Liedes für ein bestimmtes Genre entschieden hat, muss man den Text auf die jeweilige Zielgruppe abstimmen, wenn man kommerziell erfolgreich sein will. Im Disco-Genre kommt es dabei zu penetranten inhaltlichen Wiederholungen („Move your Body“-Schwachsinn u. ä.). Eine ähnliche Penetranz gibt es sonst nur im Deutschpunk (Bullenschweine, Scheiss-Kommerz usw.). So baut sich jedes Genre sein eigenes Ghetto.
Also ist bei Euch alles pures Kalkül und vorberechnet. Da kommt nix aus´m Bauch raus? Hehe…
Selbstverständlich. Alles in Absprache mit Imageberatern und Psychologen am Reißbrett entworfen.
Bleiben wir mal gleich bei der neuen Platte. Köln - Wuppertal? Kommst Du ursprünglich aus Wuppertal? Wenn dem so ist - Was hat Dich nach Köln getrieben? Und wie kann man die so genannte Punkrockszene in Köln gerade beschreiben? Wie kamst Du zur Musik. Und wie hast Du jeweils Deine Bandkollegen „gefunden“? Welche Unterschiede gibt es zu „früher“?
Bei dem Lied geht es wirklich nicht um Präferenzen für irgendeine Stadt. Ich wollte einfach mal einen Song haben der Strophe/ Brücke/ Chorus hat, wobei immer derselbe (sinnentleerte) Text über die verschiedenen Parts gesungen wird. Über die Brücke hätte man theoretisch auch den Strophentext singen können, der Text handelt ja schließlich davon, dass sich alles wiederholt. Allerdings haben wir das Experiment dann für missglückt befunden, daher die Textvariationen in der Brücke und beim letzten Chorus.
Von der aktuellen Kölner Punkrockszene habbich keine Ahnung.
Zur Musik bin ich gekommen, als sich ein Schulkollege irgendwann eine E-Gitarre mit Verzerrerpedal gekauft hat und in seinem Kinderzimmer das „Rock you like a hurricane“-Riff von den SCORPIONS darauf gespielt hat. Innerhalb von zwei Minuten konnte ich das Riff auch spielen und wir haben mit vier Leuten eine unglaublich schlechte Schülerband gegründet. Bassist und Schlagzeuger waren auch Schulkollegen und haben beide später bei KNOCHENFABRIK gespielt.
CSS haben wir irgendwann nach der Auflösung von KNOCHENFABRIK zusammen mit Caddy und Türk von den WOHLSTANDSKINDERN gemacht. W$K waren damals Labelkollegen bei Vitaminepillen, die wir bei etlichen gemeinsamen Konzerten kennen gelernt haben.
Chefdenker hat sich dann irgendwie ergeben. Matze haben wir über die Suchbegriffe „Köln“ und „Schlagzeuger sucht Band“ bei Google gefunden, Kollege habbich kennengelernt als ich das erste „THE ATOMAREN ÜBERMENSCHEN“-Demo aufgenommen habe und der Kollege hat irgendwann Thomas mit zur Probe gebracht.
Unterschiede zu früher sehe ich vor allem darin, dass die Kiddipunks Mitte der neunziger noch nicht so geil waren auf Autogramme und ähnlichen Schwachsinn. Starkult in der Punkszene gab es damals nicht, oder ich habe ihn nicht wahrgenommen, weil ich meistens zu besoffen war.
Und bei „Blut strömt durch die Straßen durch Köln-Porz“… War da ein geheimer Wunsch Vater des Gedankens?
Nein. Vater des Gedankens war die Express-Schlagzeile „Blut strömt durch die Strassen von Bagdad“. Es geht um gestaltete Umwelt.
Seit Jahren trinkst Du jetzt aber keinen Alkohol mehr. Wie kam es dazu? Und zerstört das nicht bei einigen jungen Punkrockern die Vorstellung, da man als Punk IMMER besoffen auf die Bühne zu gehen hat und garantiert KEIN Lied richtig spielen darf?
Selbst Saufen wird irgendwann langweilig. Außerdem neigt man im Dauersuff dazu auf der Stelle zu treten. Man feiert immer und immer wieder denselben Scheiß ab. Wenn man sich die Mühe macht eine längere Auszeit zu nehmen, wird einem das erst bewusst. Vor allem in Gesellschaft der Leute die immer noch weitersaufen.
Ich denke mit KNOCHENFABRIK haben wir - passend zur Musik - in Punkto auf der Bühne saufen Maßstäbe gesetzt, da braucht man niemanden mehr was zu beweisen.
Allerdings respektiere ich auch die Vorstellung, dass Punkbands immer extrem besoffen auftreten müssen. Ich schaue mir zumindest 1000x lieber einen total besoffenen Haufen Bekloppter an, die nix mehr auf die Kette kriegen, als eine Durchschnittspunkband die routiniert ihr langweiliges Set runterkloppt.
Bei einer völlig besoffenen Durchschnittspunkband besteht ja immerhin noch die theoretische Möglichkeit, dass etwas Unvorhergesehenes auf der Bühne passiert.
So wie bei den SUPERFREUNDEN (ohne ihnen jetzt unterstellen zu wollen, daß sie eine Durchschnittspnkband wären…)? Ich hab mir sagen lassen, daß Ihr im Nachhinein nicht sooo glücklich über diese Split-EP gewesen seid…
Keine Ahnung wie Du darauf kommst. Das dreivierteltakt Lied ist nach wie vor ein echter Feuerzeug-Killer. Die Superfreunde würde ich auch nicht als Durchschnittspunkband bezeichnen, da sie in ihrem Genre Maßstäbe setzen.
Was machen Deine ehemaligen Bandkollegen? Hat man da noch Kontakt?
Der KNOCHENFABRIK Bassist wohnt mit Familie in Berlin, der Schlagzeuger spielt jetzt bei SUPERNICHTS. Die WOHLSTANDSKINDER-Leute sind immer noch Semi-Rockstars. Man sieht sich meistens beim Grillen in Köln-Porz und tauscht Sauf- und Fickstories aus dem harten Touralltag aus.
Generell scheinen bei Euch in Köln (Porz) die Uhren anders zu laufen. Euer Webmaster Chris Scholz glänzt zum Beispiel regelmäßig durch seine Kolumne im Plastic Bomb. Seid Ihr alle ein wenig verrückt?
Naja - zumindest kenne ich sehr viele Leute, die aus Porz kommen und hauptberuflich Hundefutter in Regale einsortieren. Das finde ich schon etwas eigenartig.
Ja, gut, was ist schon verrückt. Entschuldige die vielleicht etwas persönliche Frage. Aber man munkelt bzw. habe ich gehört, daß Du Dich mal in psychiatrischer Behandlung befunden hast. Wie kam es dazu?
Vermutlich irgendeine genetische Veranlagung. Der Auslöser ist jedes Mal Vollmond. Die beiden Weihnachtskonzerte letztes Jahr mussten wegen der Scheiße abgesagt werden.
Da ging's von Nürnberg aus direkt in die Kölner Uniklinik.
Und eine Stimmband-OP hast Du auch hinter Dir? Stimmt das? War da gar nichts mehr zu retten? Schließlich ist sie ja auch charakteristisch für Euren Sound bzw. den Deiner Bands. Du beanspruchst sie ja auch relativ stark…
Ich hatte zweimal einen Stimmbandpolypen. Das ist ein Gutartiger Tumor auf den Stimmbändern. Die Dinger kann man nur Wegschneiden oder man muss für den Rest des Lebens eine vier-Wochen-durchgesoffen-Stimme in Kauf nehmen. Die Stimme klingt dann zwar unglaublich geil kaputt, aber das Tonspektrum ist auf noch nicht mal eine Oktave begrenzt. Das Geschwür bildet sich bevorzugt dann, wenn man mit akuter Halsentzündung rumgröhlt. Also quasi der Zustand, der sich am dritten Tag der damals zweiwöchigen Knochenfabrik-Touren immer eingestellt hat. Aus genau diesem Grund spielen wir mit Chefdenker auch nie mehr als 2 Tage am Stück. Ich brauche zwischen den Konzertwochenenden immer 3-4 Tage Pause.
Ihr seid generell sehr aktiv und tourt viel. Es scheint so, als hättest Du endlich „Deine“ Band gefunden. Ist Dir das wichtig, viel live zu spielen, aktiv zu sein?
Aktiv zu sein ist mir weniger wichtig als so oft wie möglich aus Köln raus zu kommen. Das Live spielen verkommt ziemlich schnell zur Routine, man ist auf der Bühne ständig damit beschäftigt nicht den Routinier raushängen zu lassen. Besser als das Konzert selber ist natürlich immer die Party drumherum. Nichts wäre idiotischer als 600 km durch die Gegend zu gurken um dann 1 Stunde zu spielen und sich danach direkt ins Bett zu legen.
Vorher erschienen Die Sachen Deiner Bands immer auf VITAMINEPILLEN RECORDS. Warum nicht mehr die CHEFDENKER-Sachen? Abwechslung? Neue Wege beschreiten?
Trash2001 ist heute genauso engagiert, wie Vitaminepillen vor 10 Jahren. Ralf von Vitaminepillen hat mittlerweile andere Prioritäten, z.B. seinen Motorradladen und kümmert sich weniger ums Label. Trash2001 müssen von ihrem Label und ihrem Studio leben und sind dementsprechend motiviert z. B. in Sachen Promotion. Es gibt kaum ein Label das in der Punkrockpresse so präsent ist.
Kommen wir langsam zum Schluß. Anstatt der Platten frage ich mal - Welches sind denn Deine 3 Lieblingsfremdwörter, die Du benutzt. Und natürlich deren Bedeutung…
Nekrophil - Auf Leichen gerichteter Sexualtrieb.
Flipperphilie - Sehr gutes Lied von den „Snicker Doodles“ - auf Delfine gerichteter Sexualtrieb
Flönz - Blutwurst
Alles klar. Dann vielen Dank für das Interview. Die Frage nach den letzten Worten klemm ich mir mal. Viel Erfolg und Spaß noch in der Zukunft und bis bald in Berlin.