Sergent Garcia

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EIN LÄCHELN DER GLOBALISIERUNG ODER WIE DER SÄNGER SERGENT GARCIA BEWEIST, DASS MULTIKULTI IM MUSIKALISCHEN EUROPA NOCH LÄNGST NICHT GESTORBEN IST
Nach dreijähriger Aufnahmepause seit seinem letzten Album „semilla desconocida“ und einer zweijährigen Tournee um den Globus ist ein Meilenstein der in Barcelona geborenen Mestizo-Musik zurück. Am 18.August kommt das neue Album „Mascaras“ (Masken) des spanischstämmigen Franzosen Bruno-„le Sergent“-Garcias in die deutschen Plattenläden. Einst Rock-Gitarrist, dann Hip-Hop und Ragga-MC, und schließlich als Bandleader und Verschmelzer des Reggae und der Salsa („Salsamuffin“), wurde er in den letzten Jahren zum Star jener Genre- verwerfenden Musik-Szene. Nun meldet er sich mit einer Mischung aus den Musikstilen der letzten 4 Alben und seinen urbanen Hip-Hop-Wurzeln wieder. Wir sprachen mit ihm nach seinem einzigen Deutschland-Konzert dieses Jahres, in der Berliner Kulturbrauerei, über die Ursprünge seiner Musik, Politik und sein neues Album.

Deine Musik ist definitiv nicht europäischen Ursprungs sondern basiert vielmehr auf lateinamerikanischen, vor allem karibischen Wurzeln. Trotzdem gewinnt die moderne „musica mestiza“ oder wie Du sie nennst „Salsamuffin“ seit Mitte der 90er Jahre an immer größerer Popularität in Europa. Warum?
Ich glaube, dass die Mestizo-Bewegung relativ neu ist. Gleichzeitig war die Musik schon immer Mestizo-Musik. Aber momentan gibt es viele junge Künstler die diesen Musikstil spielen. Aber was macht diese Musik überhaupt aus? Es ist eine Re-Interpretation. Es ist traditionelle Musik verbunden mit den heutigen Aufnahmemöglichkeiten. Und ich glaube, dass dieser Musikstil immer wichtiger werden wird, weil die Menschen heute sehr viel reisen und weil wir in Zeiten weltweiter Migration leben.
So habe ich beispielsweise spanisch-französische Eltern und lebe in Spanien, einige Musiker aus meiner Band sind Kubaner und leben in Frankreich, einer kommt aus Guayana und lebt ebenfalls in Frankreich. Und so ist das Leben, so sieht die Welt heute aus: Heute bewegen sich die Menschen von Kontinent zu Kontinent und nicht nur weil sie gerne Reisen, sondern weil eben ökonomische oder politische Fragen sie dazu zwingen ihr Land zu verlassen. Und wenn du schon gehen musst, dann nimmst du deine Kultur mit in den Koffer, dann begegnest du neuen Menschen und fängst an zu mixen, eben zu „mestizieren“

Das wäre meine nächste Frage gewesen: Ob eben diese Musik durch die Umstände der Globalisierung und weltweiten Migration entstanden ist und sich auch immer wieder neu formiert?
Ja genau. Es ist das andere Gesicht, das schönere Gesicht. Das Hässliche zeigt sich anhand von Elend, Ausbeutung, dem Nord-Süd-Konflikt, der Verschuldung der Dritten Welt, Dürre- oder Umweltkatastrophen. Das schöne Gesicht ist, das wir uns verdammt noch mal vermischen müssen …bis auf unsere Körperflüssigkeiten (lacht).

Wie bist du also zu dieser Musik gekommen, denn deine Musikkariere begann als Rockgitarrist der Gruppe „Ludwig von 88“und führte dann zum MC, bevor Du das Album „Un poquito pa’que’ma’o“ produziertest und den Begriff Salsamuffin erfandest.
Ich bin ich einer sehr bunt gemischten Familie aufgewachsen, habe eine afrikanische Familie, eine französische, eine deutsche, ich habe spanische und algerische Familienmitglieder. Und ich habe sogar eine Familie auf Kuba. Ein sehr buntes Ambiente also. Wir hatten immer schon unterschiedliche Hautfarben und unterschiedliche Religionen, sprachen verschiedene Sprachen und haben eben die unterschiedlichsten Musikstile gehört. Aber wir waren und sind immer eine Familie, und diese Vermischung war immer ein Synonym für uns, auf das wir sehr stolz sind. Und genau so machen wir weiter: Einer meiner Cousins ist mit einer Afrikanerin zusammen, der andere mit einer Vietnamesin, meine Frau ist Mexikanerin… und so mestizieren wir.
Als ich 15 war habe ich natürlich Rockmusik gehört, darüber dann später die Punk-Bewegung entdeckt. Ich konnte mich mit dieser Bewegung identifizieren, weil sie die Energie mit sich trug, die ich gesucht habe. Es war damals einfach die am meisten politische, auf soziale Missstände hinweisende Musik. Ich bin da rein geraten und die Musik hat mich politisiert. Wir haben Solikonzerte oder Protestkonzerte veranstaltet. Diese Zeit hat stark meinen Live- style beeinflusst.

...und dein Mix aus Salsa,Reggae, Rap…
Der Übergang zur afrikanischen und lateinamerikanischen Musik war fließend. Ich machte Musik und lernte neue Musiker aus anderen Musikrichtungen kennen, wir fingen an zusammen zu jammen und ich ergab mich Stück für Stück dieser interkulturellen Maschine, die mich nie mehr losgelassen hat. Ich gab dieser meinen kleinen Finger und sie hat mich verschlungen…(lacht)

Siehst Du also die Mestizo oder Salsamuffin-Szene auch als eine Art Bewegung? Viele bekannte Bands der Szene wie Ojos de Brujo, Panteon Roccoco, Manu Chao ect. haben einen sozialkritischen und politischen Anspruch. Ist es also eine Bewegung, und siehst Du dich als Teil dieser?
Natürlich. Wir als Band sind immer politisch gewesen und setzen auf das Konzept der direkten Aktion. So unterstützen wir zum Beispiel momentan den Kampf der Mapuche-Indianer in Chile, die durch Großkonzerne von ihren traditionellen Territorien vertrieben und vom Staat enteignet werden. Diese sind gezwungen in die Slums der Vorstädte zu ziehen und vergessen und verlieren aus Anpassungszwang ihre Kultur und Identität. Auf unserer Website haben wir deshalb einen Link zum Internationalen Verband der Menschenrechte (FIDH.org). Des Weiteren bin ich Schirmherr eines Verbands mit dem Namen „Francia-America-Latina“, der schon seid vielen Jahren in der Entwicklungshilfe Brigaden zu direkter Hilfe nach Lateinamerika schickt. Diese bauen dann Schulen auf oder beliefern ein Armenviertel mit Wasser, installieren Elektrizität usw.
Ich glaube stark an die direkte Aktion…ja viel mehr als an die Politik auf „großer“ oder „internationaler“ Ebene. Politik kann am besten von den Ameisen gemacht werden. Und die sind wir alle.

Das neue Album „Mascaras“ ist in Mexiko entstanden. Ein Land im Umbruch. Momentan haben soziale Bewegungen in Mexiko großen Einfluss, werden aber gleichzeitig von der Regierung bekämpft. Vor wenigen Tagen gab es Präsidentschaftswahlen. Nimmst Du auf dem neuen Album Bezug auf die soziale und politische Problematik im Land?
Die sozialen Bewegungen werden momentan immer wichtiger und kriegen in der Bevölkerung eine immer größere Anerkennung. Das ist aber kein mexikanisches Phänomen, sondern vollzieht sich auf dem ganzen Kontinent. In Bolivien, Chile, Venezuela oder Mexiko passieren tief greifende Veränderungen. Das was ich sehe und sogar fühle sind der allgemeine Wille und die Notwendigkeit der Anerkennung der indigenen Kulturen des Kontinents. Die native Bevölkerung wurde immer unterdrückt und aus der Öffentlichkeit verbannt. Momentan gibt es eine internationale Wiederentdeckung dieser Kulturen und eine Reflektion ihrer Wichtigkeit. Sie äußert sich in einem Zusammenschluss der „Movimiento Pachaamericano“ genannt wird und spiegelt eine Forderung dieser Völker wieder, endlich als eigenständige Völker und Kulturen akzeptiert zu werden und nicht nur als Comics aus Geschichtsbüchern.
Ihre politische Organisation unterscheidet sich komplett von den marxistischen oder sozialistischen Befreiungsgruppen der 60’er und 70’er Jahre. Denn diese Bewegungen basierten auf Ideen aus Europa und klammerten die Kultur und die Lebensart dieser Menschen aus. So ist es im Nachhinein völlig klar, dass sie scheiterten. Heute gibt es neue Forderungen nach Politikgestaltung, denn die Visionen der indigenen Bevölkerungen sind ganz eigene. Es sind andere Vorstellung vom Teilen und andere Visionen von der Erde auf der wir herumtrampeln, diese Erde muss man respektieren. In der Politik wurde nie über Respekt gegenüber der Erde gesprochen…. und das ist ein neues Phänomen. Und ich bin mir sicher, dass wir alle sehr viel von diesen Ländern lernen werden.

Glaubst du an einen Einfluss der dortigen Bewegungen und wie du sagst“ neuen“ Art über Politik zu reden auf Europa?
Selbstverständlich. In unserer globalisierten Welt werden genau diese Forderungen und die neue Sprache der Politik immer wichtiger werden, und es ist egal ob diese aus Lateinamerika oder Afrika kommen. Sie werden immer konkreter als Alternative zur heutigen Welt und unserer Geschichte werden. Das wird aus reiner Notwendigkeit entstehen, denn man wird einfach merken, dass der Mensch und die Umwelt über den ökonomischen Interessen stehen. Die Alternativen dazu sehen wir bereits: Wir werden ansonsten auf einem Müllberg wohnen.
So kann man sagen, dass wir einfach verurteilt sind uns zu retten.

Kommen wir zur Musik zurück. Jedes Album vom S.G. hat einen sehr persönlichen, konzeptionellen Charakter. „Un poquito pa quema’ o“: begründet deinen typischen Sound. Die Mischung aus Salsa, Reggae, Rap und Ragga. „Sin fronteras“ setzt stark auf traditionelle Salsa, bis hin zu Flamenco. „Semilla desconocida“ trägt eine dominante kubanische und jamaikanische Handschrift. Wie sollen wir uns also die Suche nach einem Konzept vorstellen. Wann setzt du die Akzente und legst dich fest und sagst: So, diese Farbe und diesen Geschmack kriegt das neue Album?
Du hast das ganz gut erkannt. Ich funktioniere wirklich auf der Festlegung von Konzepten. Das habe ich in meiner ersten Band „Ludwig von 88“ gelernt. Damals haben wir auch sehr auf bestimmte Konzepte basierende Alben aufgenommen.
Mir gefällt einfach diese Art Musik zu machen. Warum? Weil ich immer was Neues entdecke und viel dazulerne. Ich arbeite mit und lerne von Musikern, die ich auf meinen Reisen treffe, und wenn ich reise, dann mache ich in jedem Land Musik mit Einheimischen.
Das neue Album ist auf einer Reise in Mexiko entstanden. So erkennt man beim Hören nicht nur den für mich typischen Sound, sondern zum Beispiel die Cumbia. Es ist das erste Mal, dass wir diesen traditionellen Musikstil begleitet von einem Akkordeon aufnehmen. Des Weiteren kommt dem typischen mexikanischen Rap der nördlichen Grenzregionen eine starke Bedeutung zu. Ich wollte aus der karibischen Ecke meinen Fuß auf den urbanen Sound des lateinamerikanischen Kontinents setzen. So konzentrieren wir uns bei dem neuen Album auf Rap, Ragga, ja sogar Reggaeton. Auf meiner zwei Jahre langen Tour bin ich wieder öfter als MC mit Soundsystems aufgetreten und habe die elektronischen Riddims für mich wieder entdeckt. Es ist ein Kreis der sich schließt: Ich bin an einem Ort, lasse mich inspirieren und beeinflussen und bastle ein neues musikalisches Gebilde daraus.

Also liegt der Fokus einerseits auf dem urbanen Hip-Hop-Sound, in Zusammenarbeit mit dem Produzenten der bekantesten mexikanischen Rap-Crew „Control Machete“, nämlich „Toy Hernandez“, und andererseits bleibt alles beim alten Schmelztiegel deiner schon immer favorisierten Musikstile?
Ja genau, beim Hören des Albums wirst Du bestimmt auf einige Überraschungen stoßen: Mit Toy Hernandez habe ich daran gefeilt, wie man elektronische Beats mit ganz folkloristischen Stilen wie der Cumbia verbinden kann. So entstand das Stück: „dulce con chile“. In einem anderer Song, „en este mundo de locos“, kombinieren wir klassische Salsa mit einem fetten Reggaeton-beat. Mir war es ganz wichtig traditionelle und moderne Kultur zu verbinden. Letztendlich jedoch wirst du den typischen Mix von Sargente Garcia wieder erkennen.

Also einerseits ein konzeptionelles Album mit dem Schwerpunkt auf Mexiko, als ein Land welches Folklore und moderne, städtische Club-Sounds verbindet, und andererseits wieder eine nicht geographisch zuzuordnende Platte, die wieder mal Europa, Afrika und Lateinamerika musikalisch verbindet. Es bleibt einfach dein Stil unentwirrbar zu verschmelzen.
Ja, weil sich eine klare Herkunft eines Musikstils nicht bestimmen lässt. Denn die Instrumente die wir benutzen kommen natürlich nicht alle aus Mexiko. So ist das Akkordeon zum Beispiel ein deutsches Instrument, welches früher hauptsächlich in Osteuropa gespielt wurde. Es gibt eine Geschichte, die besagt, dass einst ein Frachtschiff mit einer Ladung von Akkordeons auf dem Weg aus Deutschland nach Argentinien vor der kolumbianischen Küste Schiffbruch erlitten hat und die Instrumente an den Strand gespült wurden. Die indianische Bevölkerung hat dann ihre Flöten gegen Akkordeons getauscht und einen ganz eigenen Sound entwickelt. Die daraus entstandene Cumbia und der kolumbianische Vallenato haben nichts mit der Spielart des deutschen Akkordeons zu tun. Es gibt viele solcher Geschichten. Zum Beispiel die „corneta china“ auf Cuba. Ein Instrument das von den chinesischen Gastarbeitern vor hundert Jahren nach Kuba gebracht wurde. Dieses Instrument ist vom kubanischen Karneval heute nicht mehr wegzudenken. Der brasilianische Pandeiro, der zur Samba gespielt wird, ist nichts anderes als ein Tamburin vom Mittelmeer.

An der kolumbianischen Karibikküste gibt es eine Musikrichtung, die „champeta criolla“ heißt. Sie wurde in den 60’er Jahren von afrikanischen Seemännern mitgebracht und in den Küstenstädten weiterentwickelt: Die Seemänner hatten Schallplatten von „High Live“ und „Soukus“ oder „Juju-music“ und Afrobeat dabei. Nigerianische Popmusik. Diese wurde von den Kolumbianern aufgegriffen und der Rhythmus wurde durch spanische Texte begleitet. Es entstanden die ersten „Champeta-Pick-up’s“, die nichts anderes als Soundsystems sind. Kleine Lastwagen in den buntesten Farben bemalt, mit afrikanischen Göttern und Marienbildern. Auf der Ladefläche steht neben riesigen Boxentürmen ein DJ, der afrikanische Musik spielt und dazu auf Spanisch singt.
Was will ich damit sagen: Die Musik reist mit den Menschen. Die Seemänner haben ihre Musik in die ganze Welt exportiert. Das ist wundervoll: So ist Musik. Und genau so macht es Sergent Garcia und seine Band.

03.07.06 in der Kulturbrauerei Berlin
Autor: Lukasz, el chicharon