Mad Caddies

Sie sind hier

am 09.05.2003 im SO36

Mad Caddies wider Willen?
In der X-berger Oranienstrasse steht ein kaum auffälliges Blindenwohnheim. Als ich an diesem Freitag dort vorbeikomme, sind schon die Lichter aus. Das wäre im Normalfall gar nicht mal erwähnenswert, wahrscheinlich brennt da drin sowieso nie Licht. Ich möchte jetzt aber nicht weiter über eine evtl. Absurdität von Lichtschaltern in den diversen Gebäuden Berlins diskutieren.

Genaugenommen interessieren mich zu dieser Stunde überhaupt nur ein einziges Paar Lichtschalter dieser Welt: Die im Kesselhaus. Und zwar auch nur deshalb, weil sie wider Erwarten an diesem Tag zweckentfremdet wurden. Sprich: Sie wurden nicht benutzt. Das bis zum Vormittag desselben Tages noch auf der hauseigenen Homepage, die nach langem Baustellendasein endlich wieder online gegangen ist, angekündigte Konzert der punk/ska/polka Truppe Leningrad (die sinnvollerweise aus St. Petersburg kommen und nicht aus Moskau! Liebe Kesselhaus Redaktion: Es gibt sie noch, die andere russische Stadt außer Moskau. Zur Information: Zwischen Februar 1924 und July 1991 hieß das heutige St. Petersburg Leningrad! Ja, es soll schließlich keiner behaupten man könne auf unserer Seite nicht auch was lernen) fällt kurzerhand aus. Ohne jede Erklärung! Um aber einen letzten Rest an guter Laune zu bewahren, und so arm ist das Kulturprogramm unserer Stadt auch wieder nicht, begebe ich mich genötigter Maßen zum nächsten Termin. Das heißt: Druck gemacht und schnell quer durch die Stadt geheizt, denn das SO 36 bildet sich ein die fünf Bands des Abends (The Lawrence Arms, The Flipsides, Alkaline Trio, Rise Against, Mad Caddies) schon ab 19:30 Uhr, kurz nach dem Sandmännchen, einem größtenteils erwachsenen Publikum zu präsentieren. Und das wiederum heißt: endlich am SO angekommen noch schnell zwei Sturzbiere eingefahren, zum Trinken kommt man ja unterwegs in der Hektik gar nicht und schließlich will man ja noch eine Karte ergattern. -Sag mal, haben die Mad Caddies nicht letztes Jahr noch im Knaack gespielt, und das Konzert damals war doch nicht mal ausverkauft oder? Scheinbar hat sich einiges verändert seitdem: Da ist zum Beispiel die neue CD "Just one more" (siehe review), die seit kurzem auf dem Markt ist. Sie scheint wesentlich dazu beigetragen zu haben, die Caddies auf der Beliebtheitsskala der deutschen Fans nach oben zu katapultieren. Prompt macht sich der Wohlstand breit, und zwar "breit" im wörtlichen Sinne: der Sänger warf doch letztes Jahr noch nicht so einen breiten Schatten... Jedenfalls ist es jetzt schön voll und stickig. An dieser Stelle möchte ich auch den Türstehern vom SO gratulieren, die sich dazu hinreißen lassen, ihre sonst so strenge Türpolitik zu mäßigen und dem einen oder anderen zu erlauben, eine nötige frische Brise zu schnappen. Umso wichtiger ist es, sich erst so spät wie möglich ins Gedrängel zu stürzen, sprich: scheiß auf die Vorbands!

Die kann man sich immerhin noch auf dem Gratis Fat- Wreck- Sampler anhören, der großzügig verteilt wird. Und das Warten hat sich gelohnt. Spätestens ab dem zweiten Akkord der Caddies, verwandelt sich der Hühne vor mir in ein Schweißstrotzendes Ungetüm, und wenn ich´s mir genau überlege, nicht nur er. Es ist heiß, es ist feucht, es ist tropisch, der erste hat schon sein T-Shirt ausgezogen und rückt mir im Takt der Musik mit seinen schwitzigen, unrasierten Achseln regelmäßig auf den Leib. Irgendwer in der Menge hat sich einen Nietengürtel nicht verkneifen können und rammt mir jenen, eigentlich ein Wunder der Physik, in die Hüfte. Jeder Tritt ein Gegentritt und von oben hagelt es Stagediver, besonders ein Mädel mit schwarz gefärbtem Pony kommt so ca. alle zwei Minuten geflogen. Etwas abseits legt gerade eine einen glatten Salto hin, bevor sie fast ungebremst in eine Pogolücke stürzt. Eigentlich, und die in Deutschland beträchtliche Rentnerschaft mit auf dem Rücken verschränkten Armen würde mir sicherlich geschlossen zustimmen, eine perverse Betätigung, geradezu unvernünftig, bescheuert. Aber nehmt ´s mir ruhig übel wenn ihr wollt Hansens und Ernas dieser Welt und wie ihr alle heißt: Ich steh drauf. Zum Tanzen oder auch Bierholen kommt man während des Konzert aus Platzmagel kaum aber das pralle Set mit allen Dixiepunkgrößen (Monkeys, Road Rash, Weird beard, Villains, Just one more, Contraband, Falling down u.a.) entschädigt für alles. Schubsen und geschubst werden, so bilden wir ein zuckendes Kollektiv, das notgedrungen auch ab und zu mal gegen die von einem Panzer von Frau bewachte Notausgangtür schleudert. Tut uns leid, aber das ist Punkrock, da muss man nicht gleich die Laune verlieren. Schließlich leben wir in einer Dienstleistungsgesellschaft, und als Veranstaltungsort sollte das SO ganz erheblich mehr dienstleisten. Freibier für alle, anstatt grimmiger Gesichter. Dann hätte das sowieso schon ziemlich geile Konzert noch ein wenig entspannter werden können. Vielleicht hätte es auch eine kleine Zugabe getan, aber die Caddies hielten sich anscheinend darüber erhaben. Schade, aber ein T-Shirt war `s trotzdem wert. Bis nächstes Jahr.