Über eine durchaus vorhandene türkische Ska- und Punkrockbewegung erfährt man hierzulande ja eigentlich nur sehr wenig. Da braucht es schon massentaugliche Veranstaltungen wie den Eurovision Song Contest (ehemals Grand Prix de la chanson) um Athena ganz groß raus zu bringen. Und schon diese Einleitung ist im Grunde völlig falsch. Athena sind nämlich keineswegs die One-Hit-Raktenaufsteiger aus einem vor sich hindümpelnden Untergrund, die man nach der Eröffnung vielleicht erwartet hätte. Die Band ist heute am Bosporus eine der ganz Großen, wurde sogar vom türkischen Basketballverband beauftragt, die Hymne „12 Dev Adam“ (zwölf große Männer) zu schreiben und spielte unter anderem zusammen mit den Beastie Boys (auf der Popcom Köln) und den Rolling Stones (in Istanbul). „US“ ist immerhin schon das fünfte Studioalbum und die musikalische Entwicklung, auf die die Band um die Brüder Hakan (git, back voc) und Gökhan (lead voc) Özoguz zurückblicken kann, ist enorm. Beeinflusst von Gassenhauern wie Slayer und Megadeath begann+D39en Athena auf den ersten Aufnahmen Hardcore zu spielen. Bald darauf entdeckten sie ihre Leidenschaft für Punk und den englischen „2nd Wave Ska“ und boten bei Auftritten neben eigenen Songs auch Cover Versionen von Helden wie Madness, The Specials, The Clash und den Sex Pistols. Noch heute hat Gökhan den typischen „Up-North“ Akzent so gut intus, dass „I Love Mud On My Face“ fast wie ein Song aus der Hochzeit der Rude Boys klingt.
Der Auftritt beim Song Contest als Vertreter des Gastgeberlandes Türkei war sowohl Ehrensache, als auch nur eine weitere Sprosse auf der Karriereleiter, die sich mittlerweile in schwindelerregende Höhe reckt. „US“ beweist diese gewisse Klasse, die es auch dem unerfahrenen Hörer erlaubt, an einem angenehmen und garantiert mühelosen Ausflug in die Welt des Ska mit orientalischem Touch teilzunehmen. In dieser Hinsicht sind Athena unnachahmlich, spielen immer noch ihre enorme Erfahrung aus, auch wenn sie im Vergleich zu den Vorgängeralben bereit waren, einige Kompromisse einzugehen. Stichwort: Massentauglichkeit. Die Platte „Holigan“, bereits 1998 veröffentlicht, war noch klar punklastiger, aufreizender und rebellischer. Der Titel der Scheibe zeigte die Richtung an und Mitgrölen war noch kein Problem. Bis 2002 wurden, belegt auf „Her ey Yolunda“, die Verzerrer heruntergefahren, die Melodien Radio-Multikulti tauglicher, und der Erfolg größer. Der Titel der Platte heißt übersetzt „Alles in Ordnung“ und klingt fast wie „Die Ruhe nach dem Sturm“ oder „Die wilden Zeiten sind vorbei“ oder „Die Lederjacke hängt jetzt im Speicher“, nur das großflächig tätowierte Punkoutfit der Musiker möchte nun nicht mehr ganz ins Bild passen. Auf „US“ wird sogar Ska zum bloßen Teilhaber und hat sich brav mit Rock und Pop, die mit ins Boot geholt wurden, zu arrangieren. Für einen möglichen Erfolg beim Song Contest mussten ganz gegen die Gewohnheit der Band englische Texte her, ein Konzept, das auf der neuen Scheibe für ganze drei von elf Songs ausgebaut wurde. Dafür dürften Athena jedoch als Erfinder des SlapBass-Ska gelten, eine Mischung, die durchaus überzeugt. Noch immer finden sich die ohrwurmverdächtigen, orientalischen Melodieführungen in den Songs, ab und zu mit einem Hang zur Melancholie, nur um gleich im Anschluss vor Lebensfreude überzuschäumen. All das spricht nach wie vor dafür, dass Athena eine Band mit Klasse ist, die gleichzeitig den festen Willen zu musikalischer Entwicklung lebt. Hoffen wir, dass sich diese Entwicklung nicht vorbehaltlos nach dem Druck des Erfolgs richtet. Athena sind in Ihrem Milieu prinzipiell konkurrenzlos, scheinen aber dennoch davon bedroht, diese Einzigartigkeit im Kampf um Marktanteile zu verlieren. Schreibt doch mal bitte irgendjemand „Bedrohte Lebensart“ auf die Platte!