Keiner weiß genau, was er ist, wo er herkommt oder was er vorhat. Aber von Chile bis weit in die USA hinein ist man sich nach zahlreichen vermeintlichen Sichtungen inzwischen sicher: Der Chupacabra, der Ziegenmelker, treibt sein Unwesen. Er lauert im Dunkeln, gierig, geifernd, um Kleinvieh wie Ziegen oder Schafen den Lebenssaft auszusaugen. Ein Vampir in Tiergestalt, ein Monstrum, ein Fabelwesen, eine urbane Legende – eine Bastion der Fantasie inmitten einer technisierten Welt.
Eine Band, die sich nach einer volkstümlichen Legende, nach einem Ungeheuer benennt? Ein mutiger Schritt! Aber auch ein konsequentes Bekenntnis zu einem Kulturkreis, einem Lebensgefühl, einer Tradition, um die es in den letzten Jahren für meinen Geschmack etwas zu ruhig geworden ist. Chupa Cabras knüpfen mit ihrem zweiten Studioalbum an den guten alten Mestizo in seiner überzeugendsten Art an und treiben den Straßen dieser Welt im Handumdrehen wieder Feuer in die Beine. Wie es sich mustergültig für diesen Musikstil gehört, kamen die Mitglieder der Band aus aller Welt – aus Peru, Spanien und Mexiko, aus Chile und dem Sauerland – um sich zunächst ihre Sporen als Straßenmusiker zu verdienen. Allein, man traf sich nicht, wie es noch vor zehn Jahren Pflicht gewesen ist, im stilbildenden kulturellen Zentrum Barcelona, sondern im Schatten des Kölner Doms. Doch Überraschung! Dort, wo der Rhein dein Meer sein muss, ließ es sich, wie sich herausstellen sollte, fast ebenso heißblütig komponieren. Mestizo, das bedeutet ein Amalgam aus der Musik der Straßen der Welt. Nimmt man den Bandnamen metaphorisch so könnte man formulieren: Chupa Capras verstehen es, die Kulturen der Welt zu melken, die Essenzen der Lebensgefühle zu extrahieren und daraus eine neue, feurige Kreation zu Schaffen. Diese Kreation sind die 21 Tracks von „Leyendas urbanas“. Sie vereint Hip-Hop, Dancehall, Reggae, Jazz, Funk und Blues mit einem überschäumenden Reigen lateinamerikanischer Rhythmen und hat dabei keinerlei Schwierigkeiten, selbst so kulturell spezifische Kompositionen wie Jan Thiersens Amélie-Soundtrack in ihre kosmopolitische Klangwelt zu integrieren.
Texte aus Presseinformationen zu übernehmen, ist normalerweise gar nicht mein Fall, aber das Manifest der Chupa Capras möchte ich meinen werten Lesern nicht vorenthalten. Auch weil es noch einmal in schöne Worte kleidet, was ich bis hier hin zu schildern versuchte. Deshalb, Zitat:
„Manifesto de Chupastylee:
Wir sind nicht Seeed. Wir sind nicht Manu Chao. Wir sind nicht Mercedes Sosa. Wir sind nicht Bushido. Wir sind nicht Bob Marley.
Chupastylee ist die logische Konsequenz des globalisierten Stilpluralismus, die Apotheose postmodernen Eklektizismus' (Stromausfall zwischen Post und Apotheke).
Wir sind die reinigenden Tränen, die Magensäure der multikulturellen Gesellschaft, die alle Nahrung in vorverdaute KRAFT umsetzt. Wir sind das moderne Monster Frankensteins, zusammengenäht aus den Resten der sterbenden Kulturen, doch unter unserem Narbengewebe pulsiert die heiße Energie des Lebens.“
Stimmt! Im Übrigen sollten Frauen, die Posaune spielen, sowieso die Welt regieren.
VÖ: 15.4.2011