Aus den sagenumwobenen Tiefen des New Yorker Kreativpools der Version City reckt sich ein weiteres unbedingt beachtenswertes Projekt empor. Im Jahre 1997 auf Initiative des heutigen Slackers Gitarristen Agent Jay Nugent hin gegründet, verbirgt sich hinter Crazy Baldhead ein Musiker- und Produzentenkollektiv, dass nach unregelmäßigen Recording Sessions das who is who der aktuellen amerikanischen Ska-Welt auf einer Platte in sich vereint.
„The Sound of `69“ nimmt doch tatsächlich die ausgeleierte Skinhead Plattitüde beim Wort. Auf dem zweiten und aktuellen Album macht die „Band“ nämlich nicht, was heutige Ska-Schülerbands so häufig auf die Bühne schleifen: nämlich Musik, die zwar wie schlecht kopierter 80er TwoTone oder 90er Ska-Punk klingt, aber seelisch angeblich treu mit dem Skinheadsommer von 1969 verbunden ist. Noch ein paar Oi!s dazugeschreinert und zumindest ich möchte regelmäßig brechen.
Nein, Crazy Baldhead machen stattdessen genau das, was halb Jamaika in den 60er Jahren getan hat. Sie plündern die amerikanischen Alternativecharts dieser Zeit und verwandeln die damaligen Hits in herzerwärmende Offbeatwunder. Dabei durfte ganz nach den Gewohnheiten in Coxsones Studio One jeder Sänger seinen eigenen Song mitbringen, der dann zusammen mit der „Studioband“ performt und aufgenommen wurde. Alles genau wie früher. Nur das in diesem Fall nicht die Skatalites an den Instrumenten standen sondern die halbe Slackersbesetzung, ergänzt u. a. durch Victor Rice, Eddie Ocampo (Stubborn-Allstars, Dave Hillyard & the Rocksteady 7, Ex-Slackers) und Rob Jost (Skavoovie & the Epitones, The Peekaboos). Produziert wurde das Ganze auch nicht mehr zentralistisch von einem mit 5-Dollar-Honoraren um sich werfenden bzw. geizenden Plattenguru, sondern über die ganze Welt verteilt (New York, Chicago, Sao Paolo, Valencia, Budapest) von leidenschaftlichen Reggae- und Skaliebhabern, die Insidern längst wenigstens dem Namen nach bekannt sein sollten. Na, wer errät es? Hier nur soviel: Chef-Toningenieur war niemand geringeres als Victor Rice.
Zu dieser überwältigenden Name-drop-Orgie kommen jetzt noch die jeweiligen Sänger und flux ist alles vereint, was Rang und Namen hat: King Django, Mike Drance (The Bluebeats), Robert „Bucket“ Hingley (The Toasters), Todd Hembrock (die neue soulige Stimme von Deal’s gone bad), Felipe Machado (Firebug), Alex Desert (Hepcat) sowie Glen Pine und Vic Ruggiero von den Slackers. Ganz besonders hervorheben möchte ich Steve Jackson, der mit seiner genialen Variante des semi-bekannten Doors-Songs Wild Child nicht nur zeigt, was für ein cooler Hund er eigentlich ist, sondern auch noch einen echt überzeugenden Song hinlegt. Auch Mr. Ruggiero zeigt sein unbestreitbares Rhythmus-Talent bei seiner Variante von „Pale blue eyes“, welche ganz besonders an den Stellen glänzt, an denen sich selbst Lou Reed immer wieder die Zunge verknotete. Als wäre das immer schon ein Rocksteady Tune gewesen...
„The Sound of `69“ im Ganzen ist wahrhaftig das aufregende Abenteuer, dass der Titel verspricht – und nicht etwa, wie sooft wenn alte Parolen dick gedruckt werden, eine Mogelpackung. So möchte ich jedem Menschen, der ein Herz für die anspruchsvollen Seiten der 3rd Wave in sich schlagen hört, die Platte wärmstens empfehlen. Einzig und allein der sonst so verdiente Bucket kommt leider stimmlich ein wenig dünn über die Buckelpiste seines Kinks-Covers. Alle anderen Tracks sind meines Erachtens ebenso vielseitig wie auch unbedingt hörenswert.
Mit der Vinylscheibe, die freundlicherweise von Phonocaster Musik vertrieben wird, kommt übrigens gleichzeitig noch eine CD Version der Platte, die einen interessanten Bonustrack (sind das die Stooges?) bereithält.
By the way: Phonocaster hat nun endlich auch Ex-Furillo Freakhead Pato unter Vertrag genommen. So vergrößert sich also die Chance, neben Babylove & the Van Dangos ein weiteres Kind dieser umwerfenden Crew gebührend erleben zu dürfen.
Im Übrigen möchte ich mich bei all jenen entschuldigen, denen diese romanhafte Plattenbesprechung schlicht aufgrund ihrer Länge die kostbaren Nerven raubte. Das liegt einfach daran, dass es zu dem Projekt „Crazy Baldhead“ so viel zu sagen gäbe. Zum Beispiel auch, dass sich die Band offenbar nach dem gleichnamigen Wailers Song von 1976 benannte. Einem Song, den Bob Marley erst in einer späten Phase geschrieben hat, als er seine Rude Boy Begeisterung schon verloren hatte und sich just auf dem Weg zum gefeierten „Friedensengel“ befand. Sein Song „Crazy Baldhead“ ist ein persönliches „Rudy, a message to you“ an all die bösen Buben im Ska und Reggae Fankreis, die sich nicht benehmen wollten. Auch interessant, wie ich finde, wäre eine genaue Analyse des Plattencovers, das, offensichtlich historisch korrekt, aus Photographien des Jahres 1969 zusammengesetzt wurde. Auf den ersten Blick erkenne ich zum Beispiel die Skinheadjungs, die 1969 auch das Cover von Symarips legendärem „Skinhead Moonstomp“ Album zierten.
Ende der Abschweifung.