Wer Geschwister hat, den quälen bestimmt bisweilen hartnäckige Erinnerungen an erbitterte Konkurrenzkämpfe aus Kindertagen. Nein? Dann möchte ich Ihnen mal auf die Sprünge helfen: „Mein Lieblingstier ist der Löwe, der ist voll gefährlich.“ Darauf lässig Schwester oder Bruder: „Mein Lieblingstier ist der Tiger, der ist Stärker als dein Löwe.“ „Dann mag ich halt jetzt den Gepard lieber, der ist so krass schnell, der zerlegt deinen Tiger locker.“ Klar soweit? Ich ganz persönlich war und bin ja ein ausgenommener Meister des Weg-Toppens und deshalb waren meine Lieblingstiere fast immer unerreichbar schnell, groß oder gefährlich. Kurz und Gut: Vergesst Sperber, Bussard, Falke und Adler. Hier kommt der König der Lüfte: Ich liebe den Kondor!
Und der Academy Award für den besten Albumtitel geht an die listigen Framestar Five aus Dresden für „Condor“! Die Wahl dieses Titels ist ja geradezu eine messerscharfe Analyse der aktuellen EP der Band. Wissen Sie über Kondore bescheid? Diese Tiere nehmen mit ihren bis zu 3 Metern Spannweite nicht nur einen beachtlichen Raum auf ihrem entsprechend majestätischen Flug ein, sondern sind für ihre verhältnismäßig extrem kurze Länge (knapp mehr als ein Meter) doch ein ganz schön schweres Geschoss. Rätseln Sie noch immer was für eine Art von Plattenkritik das denn nun sein soll? Dann darf ich mal eben übersetzen helfen: Ich halte „Condor“ trotz seiner offensichtlichen geringen Länge von nur 4 Tracks aufgrund der anspruchsvollen Komposition für ein durchaus bedeutendes Werk von einiger Tragweite und bisweilen majestätischer Anmut. Na gut, vielleicht treibt mich an dieser Stelle die krampfhafte Weiterführung der Metapher zu einem ein kleinwenig zu übertrieben salbungsvollen Stil. Aber zurückgerudert wird nicht! Das „schwere Geschoss“ möchte ich absichtlich mehrdeutig sowohl auf die Tatsache bezogen sehen, dass Framestar, die sich mühelos auf die Schule des politisch engagierten Hardcore beziehen lassen, weder Freunde der leisen und romantisierenden Töne sind, noch leichtes Gebäck zur seichten Gesprächsrunde der Teegesellschaft reichen möchten. Es bedarf schon einer gewissen Menge an Engagement, um sich in die anspruchsvoll kritische Thematik und die nur gebrochen erlaubte Harmonik der Band hinein zu hören. Auch ich hätte dem Sänger kulanter Weise die eine oder andere herkömmliche Kadenz gegönnt, den zugrunde gelegten Anspruch damit zwar vielleicht verringert, dafür aber die nötige Anstrengung, um den richtigen Zugang zur Musik zu finden, auch. Dennoch! (Wie viele Generationen von gegen Wände anrennende Revoluzzer müssen mich für dieses „Dennoch-Ausrufezeichen“ jetzt wohl lieben?) Dennoch! Soviel kann ich versprechen: Das Unternehmen lohnt sich. „Condor“ ist eine dieser Platten, die man gerade nach mehrmaligem Hören erst so richtig zu schätzen weiß, die einen dann aber, und es tut mir leid, das zugeben zu müssen, angesichts der mageren Zahl von nur vier Tracks, um so mehr die Verzweiflung, diese schlechte Hostesse, mit knöchernen Fingern an den Fensterläden, respektive den Aluminiumlammellen, schaben hören lässt. Der Küchenchef empfiehlt übrigens einen vollmundigen Altenberger Erzgebirgsbitter zum Menü.