Jedes neue Spitfire Album ist für mich irgendwie ein bisschen wie nach Hause kommen. Und dabei habe ich mit Russland nicht mehr zu tun, als Bob Marley, sagen wir, mit Love, Peace and Sunshine Reggae. Spitfire war bekanntlich die Band, die mir, lang ist’s her, das Tor in die Schwarz-weiße Welt erst aufstieß. Es ist aber auch die Band, die mich ebenso geschwind gelehrt hat, wie überraschend viel Farbe zwischen die Felder eines Schachbrettmusters passt. Und noch immer schafft es diese Band, mich glücklich zu machen.
Die umtriebige Band aus St. Petersburg legt jetzt im sechzehnten Jahr ihres Beisammenseins das vierte und absolut lohnenswerte Studioalbum vor. Schon auf Thrills and Kills, dem letzten Album der Band, drängte der quirlige Trompeter Roman energiegeladen ans Mikrofon. Und meine Ohren haben mich nicht getäuscht: Er hat das Ruder mittlerweile alleine in der Hand. Ob die sich ankündigenden familiären Veränderungen Kostja zur Aufgabe des Bandvagabundenlebens gezwungen haben? Da sich sowohl Bandwebsite als auch die Liner Notes leider zu diesem Punkt ausschweigen, bleibt es bei der vagen Vermutung. Wie auch immer, ich wünsche ihm von Herzen alles Gute.
Mit neuem Frontmann und gewohnt superbem Artwork geht Spitfire nun einen kleinen Schritt weiter in Richtung rundes Songwriting. Aber aufgemerkt, das ist (ausnahmsweise) in keiner Weise wertend gemeint sondern lediglich eine Feststellung. Mir persönlich haben nämlich einst gerade die Ecken und die ungewöhnlichen Harmonien Spitfire so besonders wertvoll gemacht. Jetzt sind die Songs sicherlich eingängiger aber eben auch ein Stück weniger individuell. Aber wer will diesen unglaublich aktiven Musikern einen Vorwurf machen. Wer mindestens drei international tätige und vor allem absolut überzeugende Musikprojekte gleichzeitig am Leben hält, hat musikalische Narrenfreiheit mindestens lebenslänglich für sich gepachtet. Die Musiker von Spitfire spielen nämlich außerdem noch bei der fulminanten und meines Erachtens weltweit besten Ska-Jazz Kombo mit dem sinnigen Namen St. Petersburg Ska-Jazz Review, und geben sich obendrein, mit den Freunden von Markscheider Kunst zusammen, die Ehre, die Kultband Leningrad um Mastermind und Labelinhaber Sergej Schnurov musikalisch zu begleiten. Alle drei Bands sind ebenso umtriebig wie unbedingt zu empfehlen. Außerdem: Wenn es nach mir ginge, hätten alle drei Bands längst ein Lifetime Visum verdient – man denke allein ganz eigennützig an die vielen brachialgenialen Konzerte... Der Titel des vierten und sehr abwechslungsreichen Albums macht aber wenn man so will auch deshalb Sinn, weil Spitfire eine dieser Bands ist, die mit Leichtigkeit den ihnen eigenen charakteristischen Charme mit einer gewissen Weltgewandtheit zu verbinden verstehen. Zu Recht erobern sie bei ihren ausgedehnten Touren auf der ganzen Welt die Herzen des Publikums. Meines zum Beispiel: Mit dem Ska-Jazz Projekt haben sie bewiesen, welch begnadete Musiker sie sind, außerdem dass sie absolut Ahnung von den Ursprüngen der Musik haben. Mit Lifetime Visa zeigen sie, dass sie herrlich melodiösen und hooklinebewehrten TrompetenPunk ebensogut spielen können, wie rauschenden Ska-Core und schnulzigen Minimalismus Reggae alla Sublime. Mir persönlich gefallen vor allem Track 5 und 12, weil sie noch immer an die kantigen Offbeatfelsen erinnern, an denen mein Herz sich auf dem Debüt Night Hunting aus dem Jahre 1996 entlang hangelte.
Viele Jahre später legt die Band mit dem in Deutschland auf Flat Daddy Records erscheinenden Album immer noch kräftig Scheite ins Feuer, auf das es eine heiße Party werde.