14. Potsdamer Ska-Festival

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Ken Boothe steht dampfend inmitten wabernder Nebelwolken. Die ganze Bühne leuchtet in Grün, Rot und Gelb. Es ist ruhig geworden im Publikum, aber die Euphorie, die auf den Gesichtern geschrieben steht, schlummert nur, wartet, bereit bei der nächsten Gelegenheit wieder auszubrechen. Der ehemalige Studio One Künstler nimmt Reggae eben immer noch ernst.

Wie ein Prediger, der von den Wurzeln des Ska erzählt, steht er auf der Bühne. Rassendiskriminierungen in Georgia oder die Apartheit-Diskussion sind für ihn längst noch nicht vergessen und so setzt das letzte Konzert des 14. Postdamer Skafestivals am späten Abend des 3. Juli 2004 politische Akzente. „These songs that we´re singing tonight are 30 years old.“ erzählt Ken Boothe. „There are many here that grew up with those songs, there may be some who made love with them, and there maybe some that fell out of love with them the first time.” Und damit ist auch sofort das eigentliche Faszinosum dieses Festivals angesprochen. Eltern sind mit Ihren Kindern anwesend, Jugendliche und vor allem eine Gemeinde Skinheads jeden Alters schwingen alle zusammen mehr oder weniger heftig ihre Ärsche zu den Beats des traditional Jamaican Ska. Geht es nach Ken Boothe, so sollte das gemeinsame Tanzen ein Zeichen sein, ein Symbol dafür, sich gegenseitig Respekt zu zollen und sich gegen Diskriminierungen aller Art einzusetzen und letzten Endes auch der Beweis für die gemeinsame Hingabe an die Musik. So banal diese Botschaft auch klingt und so oft wir sie auch schon gehört haben, ich habe da sofort wieder so meine Zweifel, wenn ich mir z.B. eine Gruppe Skinheads anschaue, die sich ein wenig abseits zu je drei Mann gegenüberstehen, die Fäuste recken und sich abwechselnd „Oberbayern!“ – „Unterbayern!“ – „Oberbayern!“ – „Unterbayern!“ ins Gesicht brüllen. Im Hintergrund spricht Boothe gerade so etwas ähnliches wie: „Doesn´t matter the colour, doesn´t matter the race, let us all stand together…“. Zu „Speak softly love“, der Reggae Version des Themas aus „Der Pate“, tanzt ein Fan auf der Bühne, gibt sich der Musik hin, spürt den Rhythmus und... bekommt von hinten ein Bier über den Rücken. Theorie und Praxis, auch nach 30 Jahren noch. Trotzdem liefert Ken Boothe mit seiner Background Band, die er wie ein Kapellmeister mit spontanen Ideen dirigiert, ein großartiges Konzert ab. Er gibt alles in diesem Moment, ist mit Leib und Seele Sänger, ist die personifizierte Stimme, die fast körperlich wahrnehmbar wird. Und die unglaubliche Atmosphäre dieses Highlights gibt mir die Gelegenheit, auf das zweitägige Festival zurückzublicken.

Bereits zum 14. Mal wurde im Lindenpark e.V. Potsdam eingeladen zu einem Festival, dass sich mittlerweile zu einem der größten seiner Art in Deutschland entwickelt hatte. Organisatorisch, mit dem außergewöhnlichen Konzept - der erste Tag findet im Konzertsaal, der zweite Open Air im Vorgarten des Clubs statt - und mit diesem phänomenalen Lineup, rückt die Veranstaltung mehr und mehr in die Nähe eines Wunderwerks. Ich darf mal eben aufzählen, was man für nur 25 € im Vorverkauf auf den Speiseplan bekommt. Die Berliner Lion´s Club, die Tornados aus Dessau und Yellow Cap aus Görlitz, über deren beeindruckende Livequalitäten wir an anderer Stelle bereits berichteten, sind da eher die Aussenseiter. Außerdem geben sich die Glasgower Amphetameanies die Ehre, die immerhin schon auf dem legendären ersten Skannibal Party Sampler mit von der Partie waren. Skatrek und Kalles Kaviar als Vertreter der altgedienten Bands aus der weiteren Umgebung mit Hingabe an den Jamaican Ska dürften wohl hinlänglich bekannt sein und sind immer für einen schönen Konzertabend gut. Und dann wird´s auch schon teuer. Im line-up des Potsdamer Festivals stehen einfach zu viele Namen, die andernorts als Headliner auftreten könnten, und die ich nicht mit einem einzigen Satz abtun möchte. Wie gesagt wurde das Festival am Freitag, den 2.7. im Konzertsaal des Lindenpark Clubs eröffnet, der mit seinem Roten Omnibus als Raumteiler und der extra erhöhten Bar, so dass man auch beim Bierholen nichts von der Bühnenshow verpasst, wie immer wunderbar gemütlich wirkte.
Aber erst mal heißt es ja dort hin zu kommen. Ich weiß nicht, braucht man um von Berlin nach Potsdam zu kommen eigentlich ein Visum? Ne, Scherz bei Seite, die stundenlange Anfahrt hat sich ja gelohnt, denn spätestens mit Dr. Calypso aus Katalonien, ergibt sich ein gestresstes BVG-Nervenkostüm, zugunsten zweier munter zuckender Fortbewegungsapparate. Ich möchte jetzt aber noch nicht weiter auf die szeneübliche Bio-Motorik eingehen, denn darauf darfst Du Dich, lieber Leser, noch ein paar Zeilen lang freuen. Konnte ich mich auf Platte noch nicht so recht mit den Spaniern anfreunden, so übertrumpfen sie sich, wie so oft bei Mestizobands, die einfach auf der Bühne geboren zu sein scheinen, live selbst um Längen. Anschließend kamen Skatrek mit obligatorischer lebensgroßer Mr. Spock Pappfigur zu ihrem Auftritt, und der Abend wurde später und später, betrunkener und betrunkener, dank des traditionell in Potsdam verkauften Rex Pils.
Das ist so eines dieser Biere, mal nebenbei bemerkt, zu dem man sich eigentlich nie eine Meinung bilden kann. Der erste, rein optische Eindruck stimmt mich immer skeptisch, sieht irgendwie zu sehr nach Billigbräu aus, bestenfalls Provinzbräu. Oh, das ist jetzt schon der zweite lokalpatriotische Ausrutscher, jetzt sollte ich mich mal langsam am Riemen reissen. Aber dann der Name: König Pilsener gibt´s doch schon und wofür zum Geier braucht man ein Bier, das so heißt wie Schäferhunde in der privaten Fernsehunterhaltung? Und ich meine damit nicht Rex Gildo...

Ja jedenfalls wuchs die Zahl des anwesenden Publikums nicht meinem Rausch entsprechend. Noch immer war die Halle nur ein wenig mehr als halb voll. Und das sollte am nächsten Tag nicht besser werden. Vielleicht lag das an dem schlechten Wetter, oder einfach daran, das sich zu viele Fans nicht von den im Garten zum ausruhen aufgestellten Bierbänken losreissen konnten. Oder vielleicht doch am line-up? Hochkarätiger hätte dieses kaum sein können, aber letzten Endes vielleicht doch stilistisch zu eng begrenzt?

War im Jahr davor noch mit Tokyo Ska Paradise Orchestra eine Band für die Hochgeschwindigkeits-Skanker und mit Wisecräcker eine hochkarätige Ska-Punk Band vertreten, so beschränkte bzw. konzentrierte sich das diesjährige Programm doch sehr auf traditionellen Ska, mit Hauptaugenmerk auf die Jamaikanischen Altväter. Und genau da geht es nun auch weiter, denn mit Roy Ellis aka Mr. Symarip betritt nun eine der großen Legenden die Bühne. Einen seltsamen Kleidungsstil zur Schau tragend, hielt er ganz klar, was der Name verspricht. Er lies sich feiern und wurde gefeiert und hätte sich dennoch fast von der Bühne geschlichen, ohne die beiden absoluten Hits zum Besten gegeben zu haben, auf die wohl ausnahmslos jeder Skafan gewartet hatte.
Mit „Banana“ und finally endlich „Skinhead Moonstomp“ als Zugabe und zugleich Höhepunkt des ersten Abends, verabschiedete sich Mr. Symarip, nicht ohne noch ein ellenlanges „Yah yah yah yaaaaah, yeeaah, yeah, yeah, yeah, yeah“ Echo zu hinterlassen. Und das war er endlich, der Klassiker des Skankens! Der Moonstomp-Wettbewerb! Die Ellbogengesellschaft mal anders! Nichts mit leisetreten! Und nichts mit leichtem wippen! Nein, dieser Abend hat Spaß gemacht und bescherte eine viel zu kurze Nacht, bis dann am Samstag, schon vom S-Bahnhof Griebnitzsee aus zu hören, die Show Open Air wieder losging.

Nachdem sich das eine oder andere Gewitterchen so seine Bahn gebrochen und sich kübelnderweise verausgabt hatte, konnte gegen späten Nachmittag endlich trocken bei Grill-Atmosphäre und Riesenbrezen getanzt werden. Und wer landete den Coup des Abends? Meiner Meinung nach The Aggrolites aus San Francisco. Mit Ihrem Dirty Reggae (so auch der Titel der aktuellen und überaus spät erschienenen Platte) in einer wunderbaren Interpretation des legendären Upsetters- Stil und der vor Energie strotzdenden Live-Performance des Sängers, welcher wohl keine zwei Minuten auf der gleichen Seite der Bühne stehen blieb, rockten sie das Publikum und konnten die schwere Aufgabe, im Laufe eines langen Festivalabends, die Zuschauer wieder nach vorne und zum Tanzen zu treiben, locker bewerkstelligen. Der Kontrast hätte aber leider nicht krasser sein können, als mit Rico The-Man-From-Wareika Rodriguez anschließend die nächste Legende die Bühne betrat. Vielleicht auch wirklich im direkten Vergleich mit den Kaliforniern, vielleicht aber auch anlässlich des hoch betagten Alters, im Herbst feiert er seinen 70ten Geburtstag, jedenfalls konnte der weltberühmte Posaunist mich, und wie es den Anschein machte, auch große Teile des Publikums, nicht vom Hosenboden holen. Natürlich ist das schon phänomenal, diesen verdienten Menschen mit dem ernsten Blick noch einmal live erleben zu können, schließlich könnte es gut sein, das der Ska heute ohne Rodriguez, der u.a. schon mit Bob Marley, Prince Buster, Count Ossie und den Specials zusammengearbeitet hat und Schüler der berüchtigten Alpha Boy School unter Don Drummond war, anders aussehen bzw. sich anders anhören würde. Trotzdem, und mir ist bewußt, dass ich gerade hart an der Grenze zur Blasphemie vorbeischlittere, ich denke es gibt eine Grenze, bis zu der es Sinn macht, Livekonzerte, zumindest im Rahmen eines Festivals, zu spielen. Und ein Mensch, der statisch auf der Bühne steht und seine Instrumentalstücke wiedergibt, gehört vielleicht in einen Konzertsaal mit Bestuhlung, aber mich hat das Konzert spätestens nach dem dritten Lied gelangweilt. Schande über mich, bewerft mich mit Eiern, aber ich werde meine Meinung nicht ändern. Und ein guter Teil dieser Kritik, geht leider auch an die Sharp Axe Band, die letztes Jahr noch als Background für Laurel Aitken spielte und von daher eigentlich über genügend Erfahrung verfügen sollte, die selbstverständlich auch eine technisch perfekte Leistung zeigte, aber eben doch mit einem gewaltigen Stock im Arsch. Das lebendigste an dem Auftritt war wohl die Farbgebung auf dem Hemd des Trompeters. Knallig. Echt.

Und schon bin ich zurück bei Ken Boothe, der, ebenfalls mit einem seltsam anmutenden Anzug auf der Bühne steht, mit seiner Musik aber ungleich stärkeren Einfluss auf das Publikum ausübt. Nun ist der Funke übergesprungen, und springt fröhlich hin und her. Plötzlich versteht man wirklich, was Feedback bedeutet. Der ganze Platz tanzt unter dem mittlerweile dunkel gewordenen Himmel, bis zu dem sich die Musik ausdehnt. Das IST Ska und dafür allein lohnt es sich, den Organisatoren des Festivals zu danken. Ken Boothe hat noch einmal einen draufgelegt auf den, bis dahin schon großen Eindruck, den Potsdam dieses Jahr hinterlassen hat.

So langsam drängt die Security schon, den Lärmschutz im Nacken, das Publikum solle im Club weiterfeiern, aber mir reicht das soweit, und es steht ja noch die lange Fahrt zurück durch das nächtliche BVG- Schienennetz an, also zurückgewankt durch die Villen-gesäumten Gassen zum Bhf. Griebnitzsee.

Ich konnte ja nicht ahnen, dass das letzte Highlight des Abends noch auf mich warten sollte. Friedlich wie nie saß ich im Wagen der S-Bahn als irgendwer ein paar Plätze weiter plötzlich mit Happy Birthday singen anfing. Kurz die Lage überrissen und schon war mir klar, dass ich nicht gemeint sein kann. Der Gesang galt einem Tom, glaube ich, der über Handy verbunden, dem Gegröle lauschen durfte. Es gibt dann manchmal diese Situationen, in denen ergibt eins das andere... Zuerst hat irgendwer eine zweite Stimme gesungen, dann zieht einer eine Gitarre raus, eine zweite Gitarre und der gesamte Waggon grölt und klatscht plötzlich mit. Im Waldschlößchen, so erfahre ich nachträglich, hatten am gleichen Abend Gardens end ein Konzert gegeben. Hab ich noch nie gehört, ist auch glaube ich keine Schande. Die zwei Gitarrenspieler, René und Basti jedenfalls, entstammen dieser Band und hatten wohl Lust, das Konzert noch ein wenig weiterzuleben. Und das war wirklich das Unglaublichste, was ich je gesehen habe.
Zu allseits bekannten Lagerfeuerklassikern spielten und sagen die Beiden spontane Texte, sozusagen Freestyling mit Melodie und das oft zweistimmig. Klar, das der ganze Wagen weiter mitgrölte bei Hits wie „La Bamba“ oder „The Passenger“. Der Text handelte beispielsweise davon, wie schön es doch ist, in der S1 zu fahren und direkt hinter der Kabine des Zuführers aus Leibeskräften so lange zu schreien, bis man rausgeworfen wird. Ja, da hab ich eigentlich noch gar nicht drüber nachgedacht, aber klar, in dem Moment kam mir das auch so vor. Zu Texten wie „Ich bin ja grade ganz arm dran, ich holte mir Malaria, ich war vor kurzem im Sudan, da holt ich sie mir bei Maria.“ rockten die beiden im AC/DC Stil durch den Mittelgang der S-Bahn, sie legten sich schmachtend während des Spielens vor unbescholtene Fahrgäste auf die Bank, und so manch einer war wohl so begeistert, dass er mitten in der Nacht ein, zwei Stationen weiter fuhr, als geplant. Eigentlich lässt sich das Alles gar nicht richtig erzählen, das muss man erlebt haben. Die Berliner BVG als Konzertsaal, das ist einfach die beste Erfindung der letzten Jahre. Und in dem Falle hätte der Weg von Potsdam nach Berlin auch gerne dreimal so weit sein können. Wer sich von den Qualitäten der Musiker überzeugen will, der hat mit großer Wahrscheinlichkeit die Gelegenheit, auf der nächsten Eskapaden Party am 9. Juli 04 ab 22 Uhr in der Kulturfabrik in der Lehrter Straße 35. Denn dorthin wurden die Beiden spontan engagiert. Eintritt 4 € und zusätzlich stehen Minni the Moocher und Eat Less Bread auf dem Programm. Na dann viel Spaß.